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Die Blüte der Menschheit

Das Ergebnis des Erdendaseins, die Tore der Zukunft, der Eintritt in das Übermenschliche - sie stehen nicht nur einigen wenigen Privilegierten offen, auch nicht einem auserwählten Volk, unter Ausschluß aller anderen. Sie werden sich allen zur Vervollkommnung öffnen. 

- Teilhard De Chardin, Le phénomène humain / Der Mensch im Kosmos

 

 

 

Buchbesprechung

Die alte Provinz Auvergne im südlichen Zentralfrankreich ist eine Gebirgsregion, die mit vulkanischen Überresten übersät ist, und in der die Menschen immer noch deutlich die keltischen Merkmale ihrer Vorfahren tragen. Der Name Auvergne ist abgeleitet von Arverni, einem mächtigen keltischen Volksstamm aus der Zeit Julius Cäsars. Vercingétorix war ein Auvergnat und der berühmteste der gallischen Anführer, der den Römern mit hervorragendem Können und Mut Widerstand leistete. Am 1. Mai 1981 waren es hundert Jahre her, daß in Sarcenat ein anderer bedeutender Auvergnat - Pierre Teilhard de Chardin - geboren wurde. Er war Jesuitenpriester und auch ein hervorragender Naturwissenschaftler, Mystiker und Philosoph. Wegen seiner mystischen Ideen über die Evolution, die zur Vergeistigung der gesamten Menschheit führt, hatte er durch seine Vorgesetzten zu leiden. 

Der Jesuitenorden verbot Teilhard solange er lebte am Institut Catholique und am Collège de France über seine Ideen zu lehren oder Vorlesungen zu halten. Doch nach seinem Tode - er starb 1955 in New York - sind Vorlesungen über seine Vorstellungen im Studienplan des Institutes enthalten. In Paris, in der Stadt, in der Diskussionen über seine umfassenden religiösen und wissenschaftlichen Betrachtungen verboten waren, gibt es heute eine "Foundation Teilhard de Chardin". Im Gegensatz zu seinen streng konservativen Vorgesetzten war Teilhard für alle neuen Gedanken in der Naturwissenschaft, der Soziologie, der Psychologie oder in der Religion aufgeschlossen. Dr. Ursula King schreibt in Toward a New Mysticism (Auf dem Weg zu einer neuen Mystik): 

Sein ganzes Leben hindurch war Teilhard ein Wanderer zwischen verschiedenen Welten. Sein Leben und seine Gedanken sind, wie die Teile einer riesigen Symphonie, mit immer neuen Variationen über ein Grundthema verflochten. Dieses Thema ist das erhabenste Abenteuer vom Aufstieg des Menschen zum Geistigen, und vom kontinuierlichen Durchbruch der göttlichen Gegenwart in die Welt der Materie und des Fleisches. Teilhards Vision war, wie bei anderen Sehern vor ihm, ein verzehrendes Feuer, das durch die strahlenden Mächte der Liebe entzündet wird. Es war eine mystische Vision tief christlichen Ursprungs und christlicher Ausrichtung, doch sie durchbrach die überlieferten Grenzen und wuchs zu einer Vision von weltweiter Bedeutung. 

Seine Ansicht über die "sich ergänzenden religiösen Erkenntnisse von Ost und West" ist ein Hinweis auf die Entwicklung der Religion zu einer künftigen Vergeistigung. 

Le phénomène humain: The Phenomenon of Man, 1959 in einer englischen Übersetzung veröffentlicht, Der Mensch im Kosmos, deutsche Ausgabe 1959 ern. 1965, ist Teilhards grundlegendes Werk. Die Evolution ist für ihn ein noch nicht abgeschlossener Prozeß. Er erfand viele Worte, um diese ununterbrochene Folge und verschiedene andere Erkenntnisse verständlich zu machen. Hominisation nannte er alles, was mit dem Erscheinen des Menschen auf dieser Erde und mit der immerwährenden Entfaltung der Möglichkeiten, die in der Menschheit eingeschlossen sind, zu tun hatte. Das heißt, die Menschheit wird "hominisiert" werden, nachdem sie die mentale Stufe überschritten und die christliche oder geistige Ebene der Universalen Seele oder des Christos erreicht hat. Noosphäre ist ein Ausdruck, den er auf ein Entwicklungsstadium anwendet, in dem das Denken zu einer Art Feld wird, das immer noch von vorhergehenden "Feldern", wie der Biosphäre und dem Kosmos abhängt, aber die Realität mit einschließt. Mit anderen Worten, die Noosphäre ist sozusagen die in einer Wesenheit vereinigte Menschheit, während die Biosphäre die lebendige Hülle der Erde ist. Christogenese ist die letzte Phase der Entwicklung, die Teilhard der Kosmogenese, der Biogenese und der Anthropogenese folgen läßt. Der Punkt Omega bedeutet für ihn der "Höhepunkt der Entwicklung", wenn Gott greifbar in dem dann vollkommen geläuterten oder geistig gewordenen Universum der Zukunft in Erscheinung getreten ist. Teilhard setzte dieses Geschehen, bei dem die geistigen und die materiellen Aspekte des Universums konvergieren, sich nähern, mit dem "zweiten Erscheinen Christi" gleich. 

bild sunrise 11983 s12 1Der Ausdruck Konvergenz ist ein zentraler Begriff bei Teilhards Formulierung der Entwicklung als ein geistiger Prozeß, der auf die Vergöttlichung der Materie gerichtet ist und darin seinen Abschluß findet. Er bezieht sich in erster Linie auf die Vereinigung aller Menschen zu einer Einheit, wenn sich alle Menschen zusammenfinden, ihre oberflächlichen Unterschiede fallen lassen und dadurch dem innersten Wesen, das das Universum durchdringt, zum Ausdruck verhelfen. Er meinte, das könne möglicherweise in hunderttausend Jahren, ab heute gerechnet, geschehen. In zweiter Linie bezieht sich der Ausdruck konvergieren auf einen späteren Zustand als den des Einsseins aller Menschen, wenn dann das materielle Leben durch die innere Göttlichkeit erleuchtet sein wird. 

Bildtext: Teilhard de Chardin. 

Diese außergewöhnliche Vision von der Einheit aller Menschen als ein sich entwickelndes Wesen kam aus seiner Betrachtung über die Evolution. Sie war für ihn ein weltumfassender Vorgang, der von einer göttlichen Immanenz in der Materie angetrieben wird. Für ihn war die Materie kein inaktiver Stoff, sondern eine organische, lebendige, sich in dem Maße verfeinernde Substanz, in der das Göttliche im Innern immer deutlicher zum Ausdruck kommt. Geist und Materie waren für ihn "zwei Seiten der einen Münze", das heißt, "Geist ist die höhere Zustandsform der Materie." 

Im Herzen der Materie 

Ein Weltherz, 

Das Herz eines Gottes. 

Er war der Ansicht, daß Gott alles durchdringt, ohne die relative Unabhängigkeit oder Individualität der Wesenheiten, die den Kosmos zusammensetzen, zu beseitigen. Er gebrauchte den Ausdruck Planetisation, um damit zu sagen, daß die Menschheit schließlich die Erde umfassen wird, wenn sie zu einer Einheit verschmolzen ist, sozusagen zu einer "einzigen Wesenheit." 

Teilhard war Spezialist in Geologie - sein Interesse für dieses Gebiet wurde bei seinen Spaziergängen in der Umgebung seines Geburtsorts bei Clermont-Ferrand geweckt -, später kam noch Paläontologie und Anthropologie hinzu. Er erwarb sich die Hochachtung und die Freundschaft führender Wissenschaftler wie die des Abbé Henri Breuil - dem "Vater der Prähistorie" - und von Sir Julian Huxley. Seine ersten Jahre in China verbrachte er als Mitglied einer Gruppe, die in den Höhlen bei Choutoukien die Ablagerungen aus dem Pleistozän erforschte und die den "Pekingmenschen", ein vorgeschichtliches Fossil,1 entdeckte. 

Die Vision von den Menschen als Einheit hatte er schon sehr früh. Während des ersten Weltkrieges meldete er sich freiwillig zum aktiven Dienst. Eine Stelle als Kaplan wies er zurück und diente von 1914 bis 1919 als Sanitätssoldat. Die Erfahrung, die er bei dem Völkergemisch in seinem marokkanischen Regiment machte, faßte er in The Heart of Matter / Das kosmische Leben zusammen. Beim Anblick dieser verschiedenartigen Menschen, die ihrem Ursprung und ihrem Typ nach so unterschiedlich waren, spürte er, daß schließlich einmal eine Verschmelzung eintreten werde. Dr. Ursula King schreibt in ihrer glänzenden Studie über Teilhard und östliche Regionen: 

Mitten in diesem Durcheinander von Rassen und im Kriegsgeschehen begriff Teilhard zum ersten Mal die Tatsache, daß die menschliche Gemeinschaft sowohl als eine organische als auch geistige Realität ein eng verbundenes Gedankenfeld ist, das den Planeten Erde umgibt. Diese Tatsache, die er später die "Noosphäre" nannte, und die für sein Verständnis des Menschen von ausschlaggebender Bedeutung wurde, erkannte er erstmalig dort. 

Es wäre ein faszinierendes Abenteuer, würde man die vielen von tiefer Einsicht getragenen Ideen auf den verschiedensten Gebieten des Denkens betrachten, die Teilhard aufgriff und entwickelte. Diese Abhandlung soll jedoch den zukunftsträchtigen Gedanken in den Mittelpunkt stellen, daß die Menschen sich in der Zukunft zu einer Einheit entwickeln werden; ob das nun unserer gegenwärtigen Zeit näher liegt oder erst in hunderttausend Jahren stattfindet, wie Teilhard meint, oder noch später, in weit entfernteren Kreisläufen, spielt keine Rolle. 

Dieser Gedanke der weltumfassenden Vereinigung der Menschen, erkennbar als eine einzige Familie von Wesen, wurde als Dissertationsthema von Schwester Margaret Ann McGurn aufgenommen. Es heißt Globale Spiritualität: Planetarisches Bewußtsein im Denken von Teilhard de Chardin und Robert Muller. Robert Muller, ein langjähriger Beamter der Vereinten Nationen, der Teilhard de Chardin nie persönlich begegnet ist, wurde mit dessen Gedankenwelt durch Pater Emmanuel de Breuvery, der lange ein enger Freund Teilhards war, bekannt. Muller hat den Vereinten Nationen unter bemerkenswerten Männern gedient: den früheren Generalsekretären Dag Hammarskjöld und U Thant; beide zeigten ein fast mystisches Verständnis für die essentielle Einheit der Menschen. Unter dem Einfluß dieser beiden Männer und durch seine eigene Erfahrung während und nach dem zweiten Weltkrieg, hat Muller daran gearbeitet, eine Vereinigung der Nationen und Völker herbeizuführen. McGurn weist darauf hin, daß "der Nachdruck, den Teilhard auf die grundlegenden naturgesetzlichen Lebensrechte legte, dazu geführt hat, daß diese Rechte in der UNESCO (1949) Gestalt angenommen haben, und in die Dokumente über 'Das Internationale Grundgesetz der Menschenrechte' der Vereinten Nationen (1978) aufgenommen wurden." 

"Muller und Teilhard sehen beide mit dem Herzen", und beide sind wegen ihrer Güte und wegen ihres Mitleids aufgefallen. Robert Muller ist von großem Optimismus durchdrungen. In den letzten Jahren hat er speziell eine weltweite Zweitausendjahresfeier ausgearbeitet, um das Jahr 2000 n. Chr. würdig zu begehen. Er stellt sich vor, daß "die Menschheit erstens von den isolierten Entwicklungen einzelner Gruppen in verschiedenen Teilen der Welt zu einer globalen Entwicklung der gesamten menschlichen Familie übergeht, ... und zweitens, daß die menschliche Spezies dabei ist, über sich selbst hinauszuwachsen." 

Der Gedanke von der universalen Bruderschaft aller Bewohner dieses Planeten, ganz gleich auf welcher Stufe sie sich zum Ausdruck bringen, wurde erstmals 1875 öffentlich verbreitet. Seitdem lief er um die ganze Welt, so daß wir heute viele derartige Äußerungen finden können. Einige sind bis jetzt noch recht zaghaft, andere sehr nachhaltig in ihrer Wirksamkeit. Universale Bruderschaft ist eine Tatsache in der Natur. Es ist offensichtlich, daß es nur eine Lebenskraft gibt, die alle ihre Kinder antreibt. Die Bande, die uns in der Biosphäre verbinden, treten nicht in ferner Zukunft ins Dasein. Direkt vor uns ist das Bewußtsein und die Erkenntnis der Koexistenz und der wechselseitigen Abhängigkeit aller Geschöpfe auf Erden. 

Teilhards Ansichten wurden nach seinem Tode in weiten Kreisen bekannt, als immer mehr von seinen Manuskripten von einem Ausschuß veröffentlicht wurden, an dessen Spitze seine ehemalige Sekretärin Jeanne Mortier stand, die er in seinem Testament zu seiner literarischen Testamentsvollstreckerin bestimmt hatte. Der posthume Ruhm und die Verbreitung seiner Ideen auch unter denen, die nicht völlig mit ihnen übereinstimmen, müssen viel zu der Vision beitragen, daß die Menschheit eine weltumspannende Wesenheit ist. Auch Robert Muller sieht eine Zeit kommen, in der die Kinder, anstatt die beschränkten Berichte über das eine oder andere Land, über Kriege, Unruhen und Eroberungen zu hören, eine weltumspannende Geschichte gelehrt bekommen. Liebe und Mitleid für alle Wesen ohne irgendeine Ausnahme werden überall die wachsende Einheit der Männer und Frauen besiegeln. 

 

 

Bibliographie: 

Verschiedene Werke von Teilhard, jedoch speziell: 

Le milieu divin; Das göttliche Milieu, Walter-Verlag, Olten, 1969 (früher: Der göttliche Bereich) 

The Heart of Matter / Das Herz der Materie, der letzte Band von Teilhards Essays mit zwei Hauptthemen: (englische Ausgabe) "The Heart of Matter" und "The Christic", Harcourt Brace Jovanovich, New York, paperback, 1978. 

Le Phénomène humain / Der Mensch im Kosmos, Verlag C. H. Beck, München, 1959. 

Kommentare und Studien über Teilhard: 

King, Ursula: Towards a New Mysticism: Teilhard de Chardin and Eastern Religions, Seabury Press, New York, 1980 (ein sehr wertvoller Beitrag). 

Lukas, Mary und Ellen: Teilhard, the Man, the Priest, the Scientist, Doubleday and Co., New York, 1977 (eine freimütige Lebensbeschreibung, in bezug auf seine Vorgesetzten im Orden und in Rom ziemlich kritisch). 

McCarty, Doran: Teilhard de Chardin, in der Serie Makers of the Modern Theological Mind, Word Books, Texas, 1977 (ein Überblick auf Teilhards viele Interessen, mit einem hilfreichen Glossar). 

McGurn, Margaret Ann: Global Spirituality: Planetary Consciousness in the Thought of Teilhard de Chardin and Robert Muller, 1980, unveröffentlichtes Manuskript. 

Fußnoten

1. [nicht entdeckte, sondern die Bedeutung der Funde erkannte. Siehe Hemleben Teilhard de Chardin, S. 103.] [back]