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Nichts weiter als Leben

Jener Schrei nach dem Warum, den nichts beschwichtigen kann, ertönt immer und immer wieder während der Zeitläufte: Ist der Mensch für alle Zeit dazu bestimmt, nur einmal auf diesem Planeten Erde zu leben?

Wir beobachten Zyklen und Rhythmen, Involution und Evolution der vielen Ausdrucksformen in der Natur; wir sprechen von den Zyklen der Jahreszeiten, vom Rhythmus der Gezeiten, dem Ein- und Ausatmen des Atems und vom Einziehen und Ausfließen physischer und spiritueller Energien. Wir sehen in der Natur beständige Bewegung, die immer zur Vervollständigung des Ausdrucks führt: äußere Formen offenbaren die Periodizität der Entwicklung, indem sie aus einem spirituellen Ur-Selbst hervorgehen, vorwärtstreiben, sich verändern, nie wieder das sind, was sie gestern waren oder was sie im nächsten Augenblick sein werden. Wir erleben unsere Tage bewußt und schlafen die unbewußten Stunden unserer Nächte und sehnen uns unaufhörlich nach einer Zusicherung, daß wir überdauern werden. Doch wir bewegen uns auf der scharfen Schneide des Zweifels. Tod scheint die einzige Gewißheit zu sein. Wir sträuben uns selbst gegen den Gedanken an das Sterben, als ob ein solches Hineingleiten in einen unbekannten Zustand für dauernd geschähe - anders als beim Schlaf, in dem wir unsere Träume träumen, um bei den ersten warmen Strahlen der aufgehenden Sonne zu erwachen.

Dieser große strahlende Himmelskörper stärkt unseren Planeten. Fortwährend läßt er die vitalen Kräfte hinausströmen, die die gesamte Natur zu ihrem Fortbestehen braucht, Energien von solch kosmischer Wirksamkeit, daß sie schließlich die Vehikel aufbrauchen, die die Sonnenessenz umkleiden. Unsere menschlichen Formen und alle verwandten Lebensformen in jedem der Naturreiche verändern sich beständig - jeder einzelne und alle zusammen erfüllen ihr verheißenes Geschick und ihre bestimmten Obliegenheiten, jeder Augenblick ist angefüllt mit neuer Erfahrung, neuem Denken, neuen Handlungen, bis die Form verbraucht ist. Der Körper verschwindet, nur die Lebensessenz bleibt zurück: unser nichtmaterielles spirituelles Prinzip tritt in den sogenannten unbewußten Nachtzyklus unserer letzten Verkörperung ein - die "Ruhe-Phase", die unweigerlich auf die Entwicklungs- und Erziehungsphase folgt, die wir als Leben und Tod kennen.

Es sollte nicht überraschen, daß das Leben nicht sterben kann. Leben ist Leben. Jeder von uns verkörpert es zu irgendeinem Zweck, wie schwach uns das auch bewußt sein mag. Der Tod, von dem wir glauben, daß er das Ende des Lebens bedeutet, ist in Wirklichkeit nur die Auflösung unseres materiellen Vehikels, das die unerschöpfliche Lebenskraft fesselt und einschränkt. Die Sonne unserer innersten Seele gleitet über den Horizont der uns verliehenen Jahre, um an dem neuen Morgen wieder aufzugehen. So wie das Kind immer im Menschen vorhanden ist, obgleich sich seine Form von der Entstehung bis zur Auflösung beständig ändert, so ist auch die Seele in jeder neuen Verkörperung immer wieder da. Bevor es die Zeit gab und länger als die Zeit dauern wird, wächst sie immer mehr zur Vollkommenheit, ihrem Sonnenursprung und dem galaktischen Glanz immer ähnlicher werdend.

Wahrscheinlich müssen wir neu überdenken, was mit "einem Leben" gemeint ist. Das Leben ist nichts anderes als Leben. Wir müssen wissen, warum das so ist; wir müssen lernen, daß ein "Leben" nur ein Abschnitt einer anfanglosen und endlosen Reise eines größeren Wesens ist, von dem jeder von uns ein untrennbarer Teil ist, ungeschmälert durch den periodisch erfolgenden Tod der Vehikel, die wir weit über ihren vorübergehenden Wert einschätzen.

In jedem Jahrhundert und in allen Kulturen haben große Denker angenommen, daß es in irgendeiner Art eine Wiedergeburt gibt. Die Tatsache, daß wir uns an frühere Existenzen nicht erinnern können, ist überhaupt kein Argument, sind doch schon in diesem gegenwärtigen Leben die ersten Tage für unsere Rückerinnerung verlorengegangen. Eine kurze Lebenszeit genügt nicht, um Meisterschaft in der Weisheit über das Wirkliche zu erlangen. Karma, das große Gesetz von Ursache und Wirkung, ist immer der Agent der Gerechtigkeit gewesen, und jeder von uns hat mit jedem Gedanken und jeder Handlung selbst das Material für unsere Evolution geliefert. Wenn wir anfangen zu begreifen, daß wir selbst es sind, die den Bericht über unser Leben niederschreiben, beginnen wir, in unseren Beziehungen zu anderen eine verantwortungsvollere Haltung einzunehmen.

Besondere Anlagen beeinflussen das Wachstum und die Entwicklung der Formen von Tier, Pflanze und Mineral - Anlagen, die durch Zweckmäßigkeit festlegen, welche Art von Entwicklungsmöglichkeit bis zu welchem Grade entfaltet werden soll. Wenn dieses Ziel erreicht ist, zieht sich die Lebenskraft zurück, um neue Formen auszufüllen und neue Funktionen auszuüben, immer gedrängt, auf der Stufenleiter der Evolution zu noch höherer Selbstverwirklichung fortzuschreiten. Nach jedem periodisch erfolgenden Tod, nach jeder Auflösung des Körpers, bleiben Leben und Bewußtsein übrig - beide Aspekte des Göttlichen -, wo die Ketzerei des Getrenntseins nicht existiert. Aus diesem Urquell der Erneuerung wird unsere Seelenessenz immer wieder von der Einheit allen Seins durchdrungen. Unsere Intuitionen werden angeregt, und wir werden darauf hingewiesen, die Wahrheit menschlicher Bruderschaft zu erkennen und sie zu leben.