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Ein Vortrag über den Menschen

Vor einigen Wochen hatten wir das Privileg, Richard Leakey im Pasadena City College sprechen zu hören. Er sprach über aufsehenerregende neue Funde in Ostafrika, die den prähistorischen Menschen betreffen. Er begann damit, daß es ihn immer wieder überrasche, welch starkes und weitverbreitetes Interesse die Öffentlichkeit an den Funden der zeitgenössischen Anthropologie (Geschichte der Menschenrassen) zeige. Wenn er über dieses Thema spricht, hat er jedesmal eine dichtgedrängte Zuhörerschaft, und immer wieder muß er überlegt formulierte Fragen seiner Zuhörer über seine Entdeckungen und deren Rolle bei der Rekonstruktion unserer menschlichen Vorfahren beantworten.

Der junge Redner, Sohn der berühmten Anthropologen Louis und Mary Leakey, ist Kurator des Nationalmuseums in Nairobi, Kenia, und Koordinator eines Stabes von dreißig wissenschaftlichen Mitarbeitern, die an den Ufern des Rudolfsees, der ein Teil des großen Afrikanischen Grabensystems ist, nach vorzeitlichen Überresten suchen. Seit seiner Jugend half er viele Jahre lang seinem Vater und seiner Mutter bei ihren epochemachenden Grabungen in Tansania, im Gebiet des südlichen Teiles der Olduvai-Schlucht des Senkungsgrabens. Richards neuester Beitrag ist eine Entdeckung, die 1972 von Bernard Ngeneo, einem erfahrenen Assistenten aus Kenia, der zur Rudolfsee-Expedition gehörte, gemacht wurde. Es ist der "Schädel 1470", ein 2,8 Millionen Jahre altes Fossil. Weil dieser Schädel und einige dazugehörige Beinknochen dem Schädel und den Knochen des heutigen Menschen so ähnlich sind und sich von den versteinerten Schädeln und Knochen des Australopithecus stark unterscheiden - das ist ein gleich alter 'Menschenaffe', dessen Überreste in demselben Gebiet gefunden wurden -, ist Leakey überzeugt, daß "Schädel 1470" einem Geschöpf aus der Gattung Homo (Mensch) gehörte, wobei er für diese Behauptung von anderen Anthropologen unterstützt wird.

Mr. Leakey machte Schluß mit dem, was er den Mythos einer Rivalität zwischen den Anthropologen nannte, die durch die Massenmedien aufgebauscht wird und die "größten und ältesten" Hominidenfossilien-Funde betrifft. Er betonte die enge Zusammenarbeit aller Wissenschaftler, die auf diesem Forschungsgebiet erforderlich ist, das jetzt für einen einzelnen Menschen viel zu umfangreich ist und für jede einzelne Entdeckung einen komplexen, gegenseitig abgestimmten Forschungsvorgang erfordert. Er kam auf den neuesten Fund "Lucy" zu sprechen, der aus dem unbewohnten Afar-Dreieck in Äthiopien, das sich über das Nordende des Grabensystems erstreckt, stammt. Dieser Fund ist ein fossiles Skelett eines weiblichen Hominiden, das nach den Messungen des Kalium-Argon-Verfahrens für ungefähr 3,5 Millionen Jahre alt gehalten wird. Diese Entdeckung wurde von einer 15 Mann starken internationalen Forschungsgruppe gemacht, die gemeinsam mit anderen von Donald C. Johanson, einem jungen Professor der Anthropologie von der Case Western Reserve Universität, geleitet wurde. Diese Gruppe von Wissenschaftlern hatte gerade einen ersten Überblick über die vielversprechenden Gesteinsablagerungen in dem Dreieck abgeschlossen. Johanson zog an einem bestimmten Punkt seiner Arbeit Richard und auch Mary Leakey zu Rate, und Mr. Leakey betonte nachdrücklich, daß sie an den Funden und Ideen auf der ganzen Linie Anteil hatten. Als zwei Vertreter der internationalen Presse Leakey vor einigen Monaten im Zusammenhang mit seiner Arbeit besuchten, waren sie überrascht, dort auch Dr. Johanson als Logiergast der Leakeys zu finden.

Übrigens sprach Dr. Johanson auch in Pasadena im Kalifornischen Institut für Technologie. Er hielt einen Vortrag über "Lucy" und über die Verhältnisse im Afar-Dreieck, der unter der Schirmherrschaft der L. S. B.-Leakey-Stiftung stand. Sein Vortrag, der am nächsten Tag nach Richard Leakeys Ausführungen am Pasadena-City-College gehalten wurde, ergänzte jenen in sehr aufschlußreicher Weise.

Wie Richard Leakey das Thema seiner "Steine und Beine" behandelte, war umwerfend. Der "Schädel 1470" und "Lucy" bedeuten, so versicherte er, daß man die weitverbreitete Vorstellung, der Australopithecus habe sich schließlich zum Menschen, dem Homo sapiens, entwickelt, aufgeben muß, weil dieser fossile Hominid bis in eine Zeit vor dem Australopithecus zurückreicht; letzterer war ein sehr primitiver, sogenannter Fast-Mensch oder ein vormenschliches Geschöpf. Diese Fossilien und diejenigen von anderen frühen Hominiden bedeuten auch, daß es eine Anzahl von Typen früher Menschen gegeben haben muß, deren Epochen sich teilweise überschnitten und die die Erde mit einer Reihe unterschiedlicher Fast-Menschen teilten, die getrennte Evolutionsbemühungen darstellten und ausstarben.

Am Schluß verwandte der Redner viel Zeit darauf, schriftlich gestellte Fragen der Zuhörer zu beantworten; er wies auf Funde hin, die von seinem Vater gemacht worden waren und die nach den Ergebnissen der Kalium-Argon-radiometrischen Messungen1 den Ursprung der Hominiden oder "Menschenfamilie" viel näher an die Zeit von vor zwanzig Millionen Jahren rückten. 1962 berichtete Dr. Louis Leakey über die Entdeckung des Kenyapithecus wickeri (etwa 14 Millionen Jahre alt), und 1967 beschrieb er den Fund eines sogar noch älteren Hominiden-Fossils, Kenyapithecus africanus (zwischen 19 und 20 Millionen Jahre alt); er verglich ihre Bedeutsamkeit mit Ramapithecus brevirostis, einem ähnlichen Hominiden-Schädel, der in Indien gefunden wurde und dessen Alter auf ungefähr 14 Millionen Jahre festgesetzt wurde. Bis zu den früheren Berichten der Leakeys war die Meinung der Paläontologen und der Anthropologen, daß der Mensch und der Affe vor ungefähr sechs oder sieben Millionen Jahren begannen, getrennte Wege der Entwicklung zu gehen. Aber Louis Leakey wies ganz richtig darauf hin, daß die Trennung des Menschen von seinem "nächsten Vetter, dem Affen" jetzt auf mindestens zwanzig Millionen Jahre zurückverlegt werden muß. Seine Erwähnung der Affen als "Vettern" des Menschen spiegelt seine Überzeugung und die anderer Anthropologen wider, daß der Mensch sich nie von einem Affenvorfahren entwickelte, sondern daß vielmehr beide, die Hominiden und die Pithecoiden, von einem gemeinsamen, aber noch nicht identifizierten Wurzelstamm kommen. Von den beiden waren die Hominiden in ihrer Entwicklung viel erfolgreicher. Diese Ansicht unterscheidet sich grundsätzlich vom klassischen Darwinismus. Die Familie Leakey hat auf diese Weise viel, wenn nicht sogar mehr als irgend jemand sonst, zu einer Umwandlung der Theorie beigetragen, die den Menschen wieder dem Menschen zurückgegeben hat.

Mr. Leakeys Darlegung war, glaube ich, wegen ihrer Klarstellung und ihrer Tiefe an menschlichen Gefühlen bedeutsam. Warum, so fragte er, sollten wir uns über diese alten "Steine und Beine" den Kopf zerbrechen? Welche Verbindung können sie möglicherweise mit den unzähligen lebenswichtigen Problemen haben, mit denen der Mensch heute fertigwerden muß, um sein Überleben zu sichern? Was haben Ereignisse, die vor ungefähr drei Millionen Jahren stattgefunden haben, mit uns heute zu tun? Der Redner zeigte Filmstreifen vom Leben und von der Arbeit der Eingeborenen, die gegenwärtig am Ufer des Rudolfsees wohnen, und wies darauf hin, wie sie gelernt haben, alles, was die Umwelt für ihr Weiterleben bietet, ohne jede persönliche Rivalität gemeinsam zu teilen. Er sagte, seine Studien über den frühesten Menschen hätten ihm gezeigt, daß auch sie in enger Gemeinschaft gelebt haben müssen, in einer Art, die sich vollkommen von der des "aggressiven Wilden" unterscheidet, als die unsere Vorfahren oft schablonenhaft dargestellt werden. Die Millionen Jahre alten "Steine und Beine" haben ihn überzeugt, daß die frühen Menschen mit ihrem eigenen Ökosystem (dynamische Lebenseinheit höherer Ordnungen aus Lebensraum und biotischer Lebensgemeinschaft) ebensoviel Intelligenz und einen ebenso ausgeprägten Sinn für menschliches Zusammengehörigkeitsgefühl und für menschliches Mitgefühl entfaltet haben müssen wie der moderne Mensch in seinem System, das zugegebenermaßen durch die Anwendung von materiellen Vorrichtungen differenzierter und vielfältiger ist, aber dennoch, was Gemeinwohl und soziales Interesse anbetrifft, sich von demjenigen früherer Rassen nicht allzusehr unterscheidet.

Mit anderen Worten: Brüderlichkeit als zentrale Kraft für eine erfolgreiche menschliche Evolution ist heute genauso erforderlich und lebenswichtig, wie sie es vor Millionen von Jahren war, weil sie das natürliche Ergebnis der Tatsache ist, daß wir alle gleichermaßen Glieder einer Spezies sind, ohne Rücksicht darauf, wie wenige oder wie viele äußere Unterschiede bestehen mögen. Mr. Leakey wies auf die anerkannte Notwendigkeit hin, daß zwischen dem Menschen und seiner irdischen Umgebung sorgfältigere und geordnetere Beziehungen geschaffen werden müssen, genauso wie es notwendig ist, zwischenmenschliche Beziehungen zu errichten, die zur Zusammenarbeit beitragen, wenn wir weiterbestehen wollen. Unsere führenden Männer, sagte er, bieten uns "Fünfjahrespläne" an, mit deren Hilfe wir unsere vielfachen Probleme anpacken sollen. Diese sind hoffnungslos unzureichend für eine Spezies, die jetzt auf eine Geschichte von mindestens drei oder vier Millionen Jahre zurückblicken und diesen Zeitraum überdenken kann. Was wir wirklich brauchen, ist eine erweiterte Vorschau, die auf ebenso viele Jahrmillionen vorausblickt und entsprechende Pläne macht. Nur eine solche Haltung kann uns die Perspektive geben, die wir für unser vernünftiges und richtiges Verhalten gegenüber unserer eigenen Spezies und unserer natürlichen "Heimat", der Erde, brauchen. Es bedarf nur ein wenig Imagination, um sich auszumalen, wie grundlegend diese erweiterte Vorstellung den größten Teil des menschlichen Handelns, Planens und Denkens verändern und menschlicher machen würde, nicht wahr?

Fußnoten

1. Wie andere radiometrische Prüfungsmethoden, z. B. die besser bekannte Karbon-14-Methode, beruht dieses Verfahren auf dem langsamen atomaren Zerfall in bestimmten Arten der Materie. Man glaubt, daß diese Veränderung mit gleichbleibender Geschwindigkeit stattfindet und es daher dem Forscher ermöglicht, das Alter des untersuchten Stoffes zu berechnen. Es gibt jedoch so viele Faktoren, die eine sogenannte gleichbleibende Umwandlungsgeschwindigkeit bei fossilen Stücken in einem so langen Zeitraum möglicherweise verändern können, daß die absolute Verläßlichkeit dieser Datierungsmethode mit Recht in Zweifel gezogen werden kann. Es wurden bedeutende Unterschiede bei einigen Datierungen mit der Karbon-14-Methode, festgestellt, wenn man sie mit anderen verläßlichen Methoden, wie z. B. der Datierung durch Baumringe, verglich. Nach der modernen Theosophie ist die Gattung Homo als ein denkendes Wesen etwas über 18 Millionen Jahre alt; eine Behauptung, der bis vor kurzer Zeit von der Wissenschaft keine Beachtung geschenkt wurde. Obwohl in der Datierung des Frühmenschen, der von Dr. Louis Leakey entdeckt wurde, bedeutende Fehler unterlaufen sein mögen, ist es doch ermutigend zu beobachten, daß das hohe Alter der Menschheit in zunehmendem Maße von vielen wissenschaftlichen Forschern anerkannt wird. [back]