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Verwandlung zum Kristall – oder zum Diamanten?

Kürzlich erklärte mir eine Freundin Einzelheiten eines Traums, in welchem sie und eine andere Person, die ihr wie eine Art moderner Zauberer vorgekommen war, magische Handlungen ausführten, die das Innere ihres Körpers in Kristall verwandelten. Später hörte sie von einer alten 'schamanistischen' Praktik, Lebensorgane in einen Kristallzustand umzuwandeln; und sie fragte sich, ob hier wohl eine Verbindung bestünde.

Der Zusammenhang zwischen Träumen, Kristall und Magie ist gar nicht so absonderlich, wenn man bedenkt, daß die Geschichte viel über Auguren zu berichten weiß, die über Kristallkugeln gebeugt saßen und nicht nur in die Vergangenheit und die Zukunft blickten, sondern auch in die lichten und finsteren menschlichen Seelen. Dem Psychotherapeuten Carl Jung ist ebenfalls aufgefallen, daß Kristalle sehr oft in Träumen vorkommen. Seiner Ansicht nach stellt der Kristall das Selbst dar, - das Kernzentrum des Menschen - "der so ist, wie er ist."

Da mich die psychische Unklarheit der 'schamanistischen' Interpretation nicht befriedigte, war ich der Meinung, man könne den Traum auch anders deuten. Zwei Gedanken tauchten in mir auf. Der erste war eine Warnung, denn er erinnerte mich daran, wie gefährlich es ist, wenn man seinen Gedanken und Handlungen erlaubt, sich zu kristallisieren: ein Prozeß, bei dem man immer mehr und mehr seinen lebendigen Forschungsdrang verliert und in der Vergangenheit stecken bleibt. Dadurch kann die innere Natur so unbeweglich werden, daß die sich entfaltende Lebenskraft, die notwendigerweise vorwärtsschreiten will, den Durchbruch durch die hindernden Fesseln erzwingen muß.

Die zweite gedankliche Folgerung hatte paradoxerweise einen ganz anderen Charakter. Mir fiel ein, daß Buddha oft als "Diamantherz" bezeichnet wird, das er auch besitzen soll. Die Augen meiner Freundin strahlten. Ich erklärte ihr dann die Bedeutung dieses klassischen Gleichnisses, das viele wirklich überzeugt hat.

Der Diamant - der reinste, härteste und dauerhafteste Stoff im Mineralreich - ist seit Jahrtausenden eines der ausdrucksvollsten Symbole für jene Menschen gewesen, die die Lektionen, die das irdische Leben uns ermöglichen, gemeistert haben. Diese Menschen, die buddha, 'erleuchtet' sind, - die innerlich leuchten, geistige Elektrizität ausstrahlen und nach außen die großen Mühen und Leiden der Menschheit durch ihr vielfältiges Selbst reflektieren - sind im einzelnen als vajrasattva bekannt, 'er, dessen höchste Essenz einem Diamanten gleichkommt.' Stark in seiner Haltung, der nach unten ziehenden Kraft seiner niederen Natur nicht nachzugeben, ist ein Buddha trotzdem beständig in seiner mitleidsvollen Reaktion auf die Nöte, die Leiden und Schwächen der Menschheit: beständig, - und ausdauernd - weil er seinen Willen und sein Ziel mit der Essenz des unveränderlichen und unveränderbaren kosmischen Gesetzes verbunden hat.

Wie aber, so mögen wir uns fragen, verwandelt ein Mensch sein 'Herz' in einen Diamanten? Mit anderen Worten, was macht einen Buddha zu einem Buddha? Die Antwort lautet: Im Prinzip ist es der gleiche Prozeß, der einen Diamanten zum Diamanten macht.

Die Wanderungen des elementaren Kohlenstoffes durch die molekularen Welten sind ein dramatisches, archetypisches Vorbild für die alchimistische Transmutation der menschlichen Seele. Die Kohlenoxyde und ihre Verbindungen sind lebenswichtig für die Erhaltung des Lebens in Pflanze und Tier, sie liefern den größten Teil der von diesen Naturreichen benötigten Energien. Wenn wir diese atomaren Wanderungen näher betrachten, können wir ein zyklisches Muster erkennen, das ein Teil der größeren Zyklen ist, die die gesamte Natur durchdringen und sie auch tatsächlich darstellen. Dieser spezielle Kohlenstoffzyklus stützt sich auf Pflanzen, die aus der Atmosphäre Kohlendioxyd entnehmen und es durch Photosynthese in Kohlenhydrate umwandeln. Tiere verzehren dann die Kohlenhydrate und wandeln sie wieder um, wobei die Kohlenstoffkomponenten, hauptsächlich durch Ausatmung, wieder an die Biosphäre der Erde zurückgegeben werden, wo sie wiederum durch Pflanzen absorbiert werden.

Wenn wir das einmal näher betrachten, so können wir uns vorstellen, wie vor vielen Zeitaltern ein Heer von Kohlenstoffatomen durch karmische Naturnotwendigkeiten seinen Weg ging, bis es in der Pflanzenwelt eines dichten Waldes seine Heimstatt fand. Dort sterben die Pflanzen schließlich ab und fallen in Sumpfwasser, das wegen Sauerstoffmangels nicht allen Kohlenstoff freisetzen kann. Die teilweise zersetzten Substanzen verwandeln sich in Torf. Durch die Ausbreitung und den Rückgang der Wassermassen entsteht über den Ablagerungen eine Sedimentschicht nach der anderen. Unter der nachfolgenden Druck- und Wärmeentwicklung trocknet und verfestigt sich der Torf, er wird zu Braunkohle, eine einfache Kohlenart. Mit weiterem Druck und weiterer Hitze werden die unreinen Bestandteile verändert, und die Braunkohle verwandelt sich im Laufe der Zeit in qualitativ hochwertige Kohle, in Anthrazit. Dann findet die dramatische Transformation statt. Unter der Einwirkung der stärksten Naturkräfte, die die Erde hervorbringen kann, werden die verbliebenen Unreinheiten abgestoßen, und mit einigen wenigen weiteren Umwandlungen der inneren Struktur siegt der Kohlenstoff über die Einwirkung der ihn bedrängenden Kräfte: ein Diamant wurde geschaffen.

Während all dieser Transformationen ist der Kohlenstoff in seiner Essenz immer eine Einheit gewesen, nur die äußere Form und Qualität waren verschieden. Aus einer anfänglich weichen und undurchsichtigen Masse entsteht durch den zeitalterlangen Druck die funkelnde Durchsichtigkeit der härtesten Substanz, die die Natur kennt.

Genauso ist es mit der menschlichen Seele. Während ihrer langen zyklischen Wanderungen, wobei sie immer wieder eine neue Form bewohnt, wird jedes menschliche 'Atom' karmisch - in diesem Fall durch seine eigenen, selbsterwählten Anstrengungen - in die Retorte täglicher Erfahrungen hineingezogen, in der die Seele die Gelegenheit findet, der Herausforderung des abwärtsgerichteten Druckes zu widerstehen. Wie bei der Kohle wird auch im Lebenszyklus des Menschen eine Zeit kommen, wo er sich bewußt zwischen entgegengesetzten Kräften befindet, die aus den höheren und niederen Aspekten seines Wesens stammen und von diesen angezogen werden. Will er höherstreben, so spürt er automatisch den Zug nach unten; die sich ergebenden Spannungs- und Druckkräfte in diesem ungewollten Kampf erzeugen dann das von den Alchimisten und Feuerphilosophen aller Zeiten so hoch geschätzte 'Feuer'. Unter diesem Begleitaspekt gesehen, ist es der "Alkahest" des Paracelsus: das universale Lösungsmittel, das die angehäuften egoistischen Schlacken 'ausbrennt' und das sich wiederverkörpernde Element allmählich in seinen reinen leuchtenden Zustand transmutiert.

Schließlich begegnet der Mensch, wenn er danach strebt, - und wenn er es verdient hat - der größten Prüfung im menschlichen Erleben: dem Druck, nicht buddha, erleuchtet, zu werden. In Sir Edwin Arnolds poetischem Meisterwerk über das Leben Buddhas, Die Leuchte Asiens, gibt es eine dramatische Beschreibung dieses entscheidenden Ereignisses. Im sechsten Kapitel setzt sich Siddhârtha, nach Jahren - Lebenszeiten - kampfreichen Suchens nach den großen Lebenswahrheiten, schließlich unter den Bodhibaum, um das Große Erwachen zu suchen:

Dann sank die Nacht hernieder, grade als

der Meister unter jenes Baumes Dach

sich setzte. Doch der Fürst der Finsternis,

der Dämon Mara, wußte wohl, daß dies

der Buddha war, dem das Geschick bestimmt,

die Menschheit zu erlösen, und daß jetzt

die Stunde sei, wo er die Wahrheit sich

erringen sollt', erlösend alle Welt.

Da bot der Böse seine Scharen auf;

aus jedem tiefsten Abgrund sammelten

sich da die Feinde, die im Kampfe sind

mit Licht und Weisheit, ...

Mara, die personifizierte niedere Natur des Menschen, und seine Legionen - geführt von den zehn 'Todsünden' Selbstsucht, Zweifel, Aberglaube, Leidenschaften, Haß, Sinnenlust, Ehrbegier, Stolz, Selbstgerechtigkeit und Unwissenheit - suchten, Siddhârtha von seinem Entschluß abzubringen. Aber bei der Überwindung ihrer vergiftenden, aber verlockenden Vorschläge, weniger als ein vollständiger Mensch zu sein, erreichte Siddhârtha sein Ziel und öffnete die Schranke, die das Tor zur transzendenten Wahrheit verschließt; und auf diese Weise war er zu einem Diamanten geworden. Aber noch immer war er vor den Augen der Menschen verborgen. Und gerade hier, an der Schwelle von Nirvâna, stellte Mara selbst die letzte Prüfung: Wer von jenen, "die so fest an ihren Sünden hängen ... die irren Wahn aus tausend Quellen trinken", würde wohl auf ihn hören? Wer würde tatsächlich an das Licht der Wahrheit glauben, diesem vielleicht auch folgen? Darüber dachte Buddha sehr angestrengt nach; als er aber seinen Blick auf die Welt der Menschen richtete, sah er in einigen wenigen das sanfte Flackern geistigen Strebens. "HOHER HERR, laß Dein Großes Gesetz verkünden!" Mit diesem, seinem größten Triumph, verzichtete Buddha auf Nirvâna, um zurückzukehren und das Wort zu verkünden. Und für diese Tat, weil er diesen Pfad gewählt hatte, der als die "Große Entsagung" bekannt ist, hat er sich, kraft seiner spirituellen Stärke und seines mitleidvollen Interesses für das Wohlergehen aller Wesen, den Namen "Diamantherz" verdient.

Hier, in der alchimistischen Transmutation, liegt die grundlegende Formel für evolutionäres Wachstum, bestätigt und in Kraft gesetzt von der Natur selbst: Das Himmelreich - der Weisheit oder Erleuchtung - wird durch Willensstärke gewonnen. Wie anders können wir diese Stärke erwerben, als durch den hier angedeuteten Prozeß? Die Widerstände wollen uns daran hindern, bessere Menschen zu werden. Wenn wir sie in unseren täglichen und stündlichen Pflichten überwinden, dann können wir aus diesen Widerständen genau das Maß an Kraft gewinnen, das sie antrieb. Und wenn wir die gewonnene Kraft für den Dienst an der Menschheit einsetzen, dann werden wir im Laufe der Zyklen den Diamanten des Mitleids in unserem eigenen Herzen hervorbringen.