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Zur Sonne und zurück

Starke Seelen gleichen feurigen Sonnen; sie leben und geben ihre Kraft für weit in der Zukunft liegende Handlungen.

- George Eliot

 

 

 

"Die Ideale der Bruderschaft und des selbstlosen Dienens ziehen mich an, und ich möchte mich dafür einsetzen, selbst wenn die Verwirklichung im Augenblick fast unmöglich erscheint." "Als Schwesternschülerin habe ich genug erlebt, um nun zu wissen, wie viel ein bißchen Fürsorge und Wärme bedeuten, und wie wichtig es ist, die Menschen so zu lieben wie sie sind." "Ich arbeite gern, möchte aber nicht meine ganze Energie darauf verwenden, andere überflügeln zu können. Das Leben sollte meiner Ansicht nach mehr ein Geben als ein Nehmen sein."

Bei einer Diskussion, wo das gesagt wurde, kam kürzlich auch zur Sprache, daß der heutige Trend, sich um andere zu kümmern, ihnen Interesse entgegen zu bringen, gar nicht so abwegig ist, denn dabei handelt es sich, trotz aller Fehler und Schwächen, um menschliche Größe. Ich glaube, daß gerade durch unsere wirren Zeiten Millionen Menschen jeden Alters und aller Lebensbereiche veranlaßt werden, sich selbst und andere im Zusammenhang zu sehen - nicht mehr als unabhängige einzelne, sondern als gemeinsame Streiter für die Verwirklichung der Ideale, die alle insgeheim hegen.

Ist dein Wunsch zu fliegen so stark, daß du bereit bist, deinem Schwarm zu vergeben, da du lernen willst und nur lernen und dann zu ihnen zurückzukehren und ihnen helfen, damit auch sie verstehen?1

Jonathan Livingston Seagull (Die Möwe Jonathan) hätte nicht die gesamte zivilisierte Welt zu solcher Begeisterung hingerissen, wäre nicht eine schmerzliche Leere von so großem Ausmaß vorhanden gewesen, daß kein materieller Erfolg sie ausfüllen konnte. Ein hochgestecktes Ziel, disziplinierte Beherrschung seines Könnens und seiner selbst, endloses Suchen nach Vollkommenheit, und dann die höchste Lektion, "den Sinn von Güte und Liebe verstehen zu lernen" ... und der Höhepunkt? Wie sich das Denken wieder der Erde zuwendet und der hart errungene Triumph freudig dahingegeben wird, damit er zurückkehren kann, für den Fall, daß es vielleicht Junge gibt, die, wie einst er selbst, den Weg zur Vollendung suchen.

Es handelt sich um zwei verschiedene Dinge: Man kann sich mit Jonathan identifizieren und sich, zumindest für den Augenblick, vom Sog des Eigeninteresses befreit fühlen, man kann aber auch ganz dem Ruf des Mitleids folgen und sein Denken und Handeln so umwandeln, daß sich der innere Beweggrund mit dem verbindet, was die Heilande und Christusse hervorrief.

Denn also hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingeborenen Sohn gab, auf daß jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren gehe, sondern ewiges Leben habe.

- Johannes, III, 16

Wanderte der Nazarener nicht an den Ufern des Sees Genezareth und rief die Armen und die Reichen zu sich, die Fischersleute und die Nikodemusse, und versicherte ihnen, daß, wenn sie dem Licht des Sterns folgen, das tief in ihrem Innern scheint, sie von der Lahmheit ihrer Seele und der Blindheit des Herzens geheilt würden? Aber durch die Verkündigung der Ketzerei, daß die Menschen Götter sind und keine Kreaturen aus Lehm, forderte er die Konvention so stark heraus, daß man ihn - den Friedensfürsten - an das Kreuz der Bigotterie schlug.

Welchen Grund sollte ich haben, mich beständig selbst zu manifestieren? Wenn die Menschen ungläubig, unweise, arrogant und leichtsinnig werden, an sinnlichen Freuden Gefallen finden und sich aus Gedankenlosigkeit ins Unglück stürzen,

Dann überlege ich, der ich den Lauf der Welt kenne, ...: Wie kann ich sie zur Erleuchtung führen? Wie können sie der Buddha-Gesetze teilhaftig werden?

- Saddharma-pundarika, XV

Fünf Jahrhunderte früher gelobte ein anderer Prinz, in Kapilavastu, Indien, die Ursache des Leidens, das auf der Welt herrscht, zu suchen und die Ursache menschlicher Verderbtheit, den Sinn von Krankheit und Tod zu finden. Schließlich erlangte er Erleuchtung, als er unter einem großen Salbaum saß; und das Licht seiner Allwissenheit war so herrlich, daß er dadurch den besiegten Mâra, seinen Widersacher, zu einem letzten Versuch antrieb, ihn von seinem Weg abzubringen. Und dieses Mal hatte Mâra fast Erfolg, denn Gautama, obgleich jetzt Buddha, 'erleuchtet', begann bald zu zweifeln, ob er die ihm zuteil gewordene Weisheit anderen verständlich machen könne. Das dauerte jedoch nicht lange. Aufgerüttelt durch den Appell des großen Brahmâ, daß "die Welt fast ganz verloren sei", wenn er nicht die Wahrheit verkünde, kehrte Sâkyamuni vom offenen Tor, das in die Seligkeit Nirvanas führte, zurück, um unter seinen Brüdern zu leben, sie zu lehren und zu inspirieren, bis alle dem Weg des Dharma folgen würden, dem alten Gesetz der Wahrheit und der Pflicht. "Seid euch selbst Leuchten, sucht eure eigene Befreiung" von den Fesseln irdischen Durstes, folgt dem Mittleren Weg und vermeidet so die Extreme, denn weder strenge Enthaltsamkeit noch Genußsucht bringen Frieden und Einsicht.

Wiewohl ich ungeboren, unveränderlichen Wesens und der Herr des ganzen Daseins bin, ... verkörpere ich mich von Zeitalter zu Zeitalter für die Erhaltung der Gerechten, die Vernichtung der Boshaften und die Aufrichtung der Gerechtigkeit (Dharma). - Bhagavad-Gîtâ, 4. Kapitel

Deshalb finden wir auch noch weitere 25 Jahrhunderte zurück, genau vor Beginn unseres gegenwärtigen Eisernen Zeitalters, Krishna, den Avatâra, eine göttliche Inkarnation, der wiederum Kunde brachte von der wundervollen Wahrheit des dem Menschen innewohnenden Geistes, todlos in der Essenz, ewig, unzerstörbar; wie eine einzige Sonne die weite Welt mit ihrem Glanz erfüllt, so erleuchtet die Eine Essenz jedes Wesen auf Erden. Über zahllose Geburten und Tode, zusammen mit der Ernte von Sorge und Freude, seinem karmischen Verdienst entsprechend, wird der Mensch schließlich Weisheit erlangen.

Ethische Gebote und vielseitige philosophische Lehren besitzen wir im Überfluß - sie erinnern uns beständig daran, daß es uns nicht an Inspiration oder Führung mangelt, sondern nur an der Erkenntnis, daß wir selbst es sind, die die gepriesenen Tugenden anwenden müssen, wenn wir Angst und Beklemmung, Verwirrung und Halbwissen überwinden wollen, unter denen wir täglich leiden. Doch, trotz der menschlichen Torheiten, inkarniert Krishna, stets "unermüdlich in Tätigkeit", während der Zyklen, wenn immer drängende Notwendigkeit ihn ruft.

Während ich an all diese Dinge dachte, fielen mir jene Aspiranten ein, die im alten Ägypten die "Sonnenbarke, die seit Jahrmillionen zur Sonne führt", betraten und, nachdem sie Söhne der Sonne geworden waren, ihre Weisheit den Hierophanten-Königen im Land des Nils mitteilten. Dabei dürfen wir auch Plato nicht vergessen, der in seiner Parabel von den Höhlen ebenfalls die Aufforderung zur Wohltat bringt (Der Staat, Buch VII). Nachdem die Hervorragendsten Kenntnis vom Gutsein erlangt haben, dem "Höchsten von allem", und den Aufstieg mit dem "Auge der Seele" vollzogen haben, sollten sie nicht "in der oberen Welt verbleiben, sondern sich entscheiden, wieder zu den Gefangenen in der Höhle" hinabzusteigen, denn allen Bewohnern sollte das Glück zuteil werden, nicht nur einem Stande, so daß sie alle "gegenseitige Wohltäter" werden.

Bei der heiligen 'Wiedergeburt' dieser Weisen findet tatsächlich ein geistiges Erwachen statt. Doch welchen Einfluß kann ihr Triumph, den wir Jahr für Jahr zur Wintersonnenwende feiern, auf Sie und mich haben - auf unser Leben und unseren Vorsatz, in den kommenden Monaten unser Bestes zu geben?

Wenn wir, so wie Sokrates es getan hat, uns fragen: "Wie weit sind wir erleuchtet oder nicht?", dann erkennen wir, daß wir noch einen weiten Weg gehen müssen. Metaphysische oder geographische Entfernungen sind daher von geringer Bedeutung; entscheidend - zum Guten oder Schlechten - ist die Richtung, die wir einschlagen wollen, das Wissen über die Seelenkräfte, die Qualität des Motivs. Ist es denn so schwer, sich vorzustellen, wie unsere Welt sein würde, wenn jeder Mensch, ruhig und ohne Aufsehen zu erregen, seinen Willen und sein Streben darauf richten würde, nicht nur in jeder sich ergebenden Situation die höchste Wahrheit zu suchen, sondern auch stets so zu denken und zu handeln, daß das Wohlergehen der Mitmenschen im Vordergrund steht?

Es ist alles so einfach, und doch nennen wir es abgedroschen und altmodisch, nur weil es uns von der Kanzel herab, im Schulzimmer und von den Eltern seit Generationen eingehämmert worden ist. Und dennoch kommt es nur darauf an: Wir wissen alle, daß es gehen würde, wenn wir aufrichtigen Herzens wären und den Mut hätten, einen Versuch zu wagen.

Vielleicht liegt der Sinn des explosiven Umsturzes der Normen darin, daß es die Methode der Natur ist, in Zyklen uns alle, ganz gleich welcher Altersstufe und Gesellschaftsschicht wir angehören, anzuspornen, die Fesseln der eigennützigen Interessen zu zerbrechen, umzudenken und, das allgemeine Wohl vor Augen und im Herzen, den Aufstieg der Seele zur Sonne und nach Innen zu vollbringen. Wenn nur eine handvoll Menschen das tun würde, ununterbrochen, ihr ganzes Leben lang, welche Kraft würden sie haben, den Strom der Selbstlosigkeit im Kraftfeld des Weltbewußtseins zu stärken!

Fußnoten

1. Die Möwe Jonathan, von Richard Bach, Verlag Ullstein GmbH., Frankfurt a. M., DM 16.- [back]