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Wer sind die Einsamen?

Für uns ist die Zeit der schnellen Verbindung gekommen, der sofortigen Teilnahme an fernen und nahen Ereignissen, so daß der Zuschauer im Lehnstuhl oder der Behinderte die Dinge, die sich eine halbe Welt entfernt abspielen, betrachtet und in gewissem Maße daran teilhaben kann. Wir leben in einer Zeit, in der wir füreinander und für die Nöte der anderen größere Aufmerksamkeit haben können. Es ist eine Zeit der Bestrebung, Lücken auszufüllen, die durch wirtschaftliche und kulturelle Unterschiede, die in verschiedenen Staaten und Ländern vorherrschen, geschaffen wurden. Unglücklicherweise gehört aber auch in diese Zeit die Einsamkeit, eine so weit reichende Einsamkeit, daß sie beinahe die Stelle einnimmt, die einst der Tod durch Verhungern inne hatte. Sie ist ein Staatsproblem und zum Gegenstand der Untersuchung von Regierungsseite aus geworden.

Ein englischer Bericht hierüber behauptet, "daß für 1700000 von Englands sechs Millionen Pensionären eine Zeit der Einsamkeit gekommen ist, ungefähr 400000 das Gefühl der Isolierung haben", daß Frauen über fünfundsechzig am schlimmsten betroffen sind - auf eine von dreien, verglichen gegen einen von fünf Männern, trifft diese Krankheit zu. Andere Untersuchungen zeigen, daß Witwen "im Vergleich zu Unverheirateten im Alter sich doppelt so oft einsam fühlen" und "daß hauptsächlich Kinder der Trost der einsamen Pensionäre sind." Von den befragten Leuten hatten sechsundachtzig Prozent in der Woche zuvor mit Kindern geplaudert.

Eine Million und siebenhunderttausend vergessene Pensionäre! Dazu kann man noch jene aller Altersgruppen hinzunehmen, die letzten Endes mehr oder weniger zugeben, daß ihr wahrer Kummer im Alleinsein liegt. Hinzu kommt außerdem noch die unbekannte Zahl derer, die ihre Gefühle mutig hinter einer Fassade verbergen, und wer weiß, wieviele "Einsame" sich mitten im Gewimmel unter uns befinden? Wir können diese Dinge auch nicht so präzise definieren, um auf eine alleinige Ursache oder Heilmethode hinzuweisen.

Wenn man mit Männern und Frauen aus verschiedenem Milieu, mit verschiedenen Ansichten und Altersgruppen spricht, begreift man bald, daß dieses Gefühl nicht von einer bestimmten Umgebung zu kommen braucht oder daher stammen muß, weil jemand für sich allein lebt. Es beschränkt sich auch nicht auf irgendeine besondere Lebensweise oder auf persönliche Umstände. Es scheint eher von einer gewissen Charaktereigenschaft abzuhängen, die entweder verborgen oder offensichtlich in der eigenen Natur des Einzelwesens ist. Wer ist noch nicht dem "Außenseiter" einer großen und sonst fröhlichen Familie begegnet? Nur er ist mit einem Gefühl des Getrenntseins behaftet, so groß, als wäre er in einer Wüste. Ganze Familien, die in der geschäftigen Unpersönlichkeit eines riesigen Blocks von Stadtwohnungen eingebettet sind, können einsam sein. Möglicherweise gibt aber auch jemand, der viele Kontakte und Beziehungen hat zu, daß er "allein" ist.

Wir alle haben zeitweise die Einsamkeit erlebt - vielleicht dann, wenn unsere innersten Gedanken so ganz nur die unseren zu sein scheinen, so daß wir sie niemandem sonst erklären können. Wir müssen dann eher sozusagen die Zugbrücke zwischen uns und anderen hochziehen und es in stiller Abgeschiedenheit ausleben oder ausfechten. Jegliche Ereignisse können uns in diesen Zustand versetzen. Vielleicht lieben wir, wo wir nicht geliebt werden, vielleicht haben wir ein Geheimnis, das wir anderen nicht mitteilen können oder uns nicht trauen, es zu tun. Vielleicht sind wir aber auch dort angelangt, wo wir das Leben in Begriffen beurteilen, die so verschieden von denen anderer Menschen sind, die wir kennen, daß wir in einer anderen Welt zu sein scheinen. Haben unsere Freunde und Verwandten zum Beispiel Ansichten, die auf materiellen Erfolgen und Errungenschaften beruhen, auf dem Erwerb von Reichtum und Macht - und wir selbst legen nicht mehr viel Wert auf diese Dinge - dann gibt es keine Brücke der Verbindung, und wir scheinen allein zu sein. Ohne es gewahr zu werden, isolieren sich manche intellektuell begabte Menschen, indem sie jeden abweisen, dessen Geist sich nicht aufschwingen kann, um sich mit ihrem zu messen. Umgekehrt fühlen sich körperlich Schaffende oft beiseite gestellt, wenn sie unter Fachleuten, Geschäftsmännern oder Gelehrten leben.

Bei einer weiteren Nachforschung in England stellten Interviewer fest, daß eine starke Einbildung von Überlegenheit bei den geistig Schaffenden, ihren körperlich arbeitenden Gefährten gegenüber, besteht, obwohl alle dicht nebeneinander im gleichen Wohnviertel lebten. Weit davon entfernt nach einer Philosophie der Gemeinsamkeit der Menschen zu suchen und nach dem Nutzen für alle Völker, waren viele nur darauf bedacht, ihre eigene Position zu erhalten. Sie wollten in abgesonderten Wohnblocks leben, getrennt für körperlich und geistig Schaffende und sicher gehen, daß sich ihre Kinder nicht unter diejenigen mischten, deren Eltern in der sozialen Gesellschaft unter ihnen standen.

Auf der anderen Seite stoßen wir auf "Exzentriker", die sich ganz und gar von den allgemeinen Sitten und Gebräuchen entfernen wollen. Wie eine Zeitung neulich berichtete, kann man sie "in allen entlegenen Distrikten finden, wo sie in Schuppen, Höhlen und ähnlichen Plätzen ein harmloses Leben führen." Nachdem der Reporter, ein Inspektor vom Gesundheitsamt, zwei alte Damen besucht hatte, deren Heim solch ein Schuppen war, berichtete er: "Die Unterhaltung war hoch philosophisch, mit viel Intelligenz und ohne Kunstpausen. Verstandesmäßig sind sie sich klar darüber, was sie vom Leben wollen, und selten bin ich zwei so zufriedenen Menschen begegnet. ... Ist es wirklich ein schlechteres Leben, als in einem Keller in einem Londoner Slum zu leben?"

Abgesehen von den Hunderttausenden von Pensionären, die ein leeres Dasein erdulden, kann man doch viele, viele andere finden, die, obwohl ihre einst großen Familien auf "zwei von uns" oder "nur ich" zusammengeschmolzen sind, voller Schwung den Dingen gegenüber bleiben. Sie mögen für sich leben, aber sie fühlen sich nie verlassen. Warum liegt ihr Fall so anders? Forschen wir nach, so erscheint es uns als wäre in ihnen eine Art endloser Strom, der sich in einem ewig fließenden und ständigem Interesse an allem zeigt, angefangen beim Postboten, Milchmann und Bäcker an ihrer Türe, bis zu den Ladenbesitzern, von denen sie ihre "Kleinen Dinge" kaufen, und den Kindern, denen sie zuwinken oder zu denen sie in ihrer Umgebung sprechen. Für sie hat sich "meine Familie" so vergrößert, daß sie alle Menschen umfaßt, denen sie täglich begegnen, und es ist die echte Zuneigung zu anderen, nichts mehr und nichts weniger, was ihnen Frohsinn schenkt.

Vielleicht ist es eine Möglichkeit, das Alter in diesen segensreichen Zustand umzuwandeln und sich der Familie bewußt zu bleiben. Ja, wir alle müssen das tun, wenn wir eine haben - aber auch der größeren Familie vor unserer Türschwelle müssen wir uns mehr zuwenden, ehe wir vollkommen verlassen sind und feststellen, daß wir unerwünscht sind. Oft brüsten sich Familien ein wenig damit, sie seien eine innig geschlossene Einheit, die nicht viel mit den Nachbarn zu tun hat. Sie erwähnen mit einem gewissen Stolz, daß sie, abgesehen von einem gelegentlichen "Guten Morgen" oder "Guten Abend" nichts von dem Geschäft, dem Leben und den Interessen, den Mühen und Sorgen ihrer Nachbarn wissen und auch nicht wissen wollen. Ist es daher so überraschend, wenn zu solch unabhängigen Leuten der Tag "des Ganz-Alleine-Seins" kommt, dem Jahre der Einsamkeit folgen? Wir können nicht jahrzehntelang unsere Nachbarn als Ziffern oder als "wandelnde Bäume" ansehen und dann, wenn wir sie plötzlich brauchen, erwarten, daß sie an die Tür unseres schweigsamen Hauses anklopfen, eifrig bedacht, unser neues Leben mit uns zu teilen. Ist nicht Freundschaft "des Lebens schönste Einrichtung" genannt worden? Und was ist Freundschaft anderes, als eine Erweiterung des Ausmaßes an liebevollem Interesse, das wir natürlicherweise "uns selbst" schenken?

Es heißt, daß Einsamkeit lediglich eine gedankliche Vorstellung sei, und daß es erst einmal notwendig ist, die Gedanken in uns zu erforschen und "damit gut Freund zu werden." Stimmt das? Wird das die Krankheit heilen? Wenn es nur die Gedanken sind und die damit in Beziehung stehenden Fähigkeiten, dann kann das ganze Puzzle-Spiel dadurch gelöst werden, indem die Gedanken in die richtigen Kanäle geleitet werden. Doch schon die alltäglichen Erlebnisse mit den Menschen, die wir kennen, haben uns gelehrt, daß hier mehr als nur das in Frage kommt. Wir begegnen Einzelnen, deren Fachwissen auf akademischen oder anderen Gebieten genau zu unserem paßt, aber wer kann sagen, daß sie deshalb diejenigen sind, die wir als Freunde in unserem Herzen aufnehmen? Ich kann mit meinen Händen arbeiten und mein Freund mit seinem Kopf oder umgekehrt. Doch wenn wir beide auf dem Gebiet der Anteilnahme der menschlichen Erfahrung arbeiten, im Bereich des Herzens, dann überschreiten wir gemeinsam eine viel weitere, universellere Brücke des Verstehens, als es durch bloße gemeinsame Interessen und Talente möglich wäre.

Liegt hierin nicht unsere Antwort? Als menschliche Familie sind wir verschieden, aber wir sind eine! Unsere Aufgabe heißt zu versuchen, diese Einheit in unserem täglichen Umgang mit anderen "in die Tat umzusetzen", sonst vergrößern wir einfach den Druck der fremden, selbstgebauten Trennwände. So stellen wir uns fortgesetzt, bewußt und unbewußt, durch das, was wir besitzen - an Gütern, an Position, an Talenten - beiseite, denn tatsächlich zählt nur das, was wir sind und was wir werden. Wenn wir danach streben, die Einheit des Lebens immer im Auge zu behalten, dann fangen wir an, eine Brücke zu bauen, die die menschlichen Herzen in Kameradschaft und gegenseitiger Hilfsbereitschaft verbinden wird. Wenn jeder von uns in diesem spirituellen Sinne ein Brückenbauer geworden ist, wird "Einsamkeit" ein veraltetes Wort sein, das nur mit unserer weniger frohen, weniger verständnisvollen Vergangenheit etwas zu tun hatte.