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Nach innen schauen

Bei dem unaufhörlichen Prozeß der Weiterentwicklung kann ein Mensch sich selbst viele Fragen über das Leben, dessen Zweck und Bedeutung stellen; ob man wirklich glücklich sein und Erfüllung finden kann und wenn ja, auf welche Weise. Wenn man sich entschlossen hat, eine solche Untersuchung anzustellen, dann muß man sich selbst genau betrachten und mehr über seine eigenen Gedanken, Vorstellungen und inneren Gefühle in Erfahrung bringen.

Der reifende, sich selbst kritisch beurteilende Mensch kommt an einen Punkt, an dem er fühlt, daß in ihm mehr ist, als er bis dahin wußte. Nun beginnt eine Zeit des inneren Tastens, Sondierens, Entwirrens, die den Bemühungen und dem Sichtbarwerden des aus der Puppe "neu geborenen" Schmetterlings nicht unähnlich ist, oder der Entwicklung und Entfaltung der neu erblühten Blume gleich kommt. Für das menschliche Wesen ist dieser Prozeß nicht von kurzer Dauer; es ist ein Suchen, das Leben hindurch anhält - wenn wir nur Interesse haben und den Beweggrund, uns selbst und andere besser zu erkennen.

Viele Schwierigkeiten, auf die wir bei dieser Selbstuntersuchung stoßen, mögen vielleicht aus unserer Erziehung als Kind kommen. Den meisten Kindern wird gelehrt, daß es nur Recht und Unrecht, Gut und Böse, Tugend und Sünde, usw. gibt. Dies mag teilweise in jungen Jahren notwendig sein, bis der Einzelne imstande ist selbst zu denken. Aber ein Kind braucht außerdem noch Anleitung, damit es verstehen lernt, daß es im Leben Schattenseiten gibt, und daß es notwendig ist, in der Philosophie, die es entwickelt, sowohl anpassungsfähig als auch standhaft zu sein. Manche Menschen werden niemals frei, weil sie nicht erkennen können, wann die Regeln angewendet werden müssen, und wann Ausnahmen erlaubt sind. Die Struktur ihres Charakters ist so, daß sie sich in der Beurteilung streng an ein Muster halten müssen, um eine stabile Einstellung bewahren zu können.

Wenn wir versuchen den Einfluß, den unsere Kindheit auf uns hatte, zu verstehen, müssen wir uns zuerst einmal losgelöst von den strengen Richtlinien betrachten, die uns während der Jugend eingepflanzt wurden. Erst wenn wir uns beständig bemühen, unsere essentielle Natur zu erschließen und bestrebt sind, das zu meistern, was wir als Charakterschwächen ansehen, können wir dazu übergehen, uns und andere in einem klareren Licht zu erkennen. Wir können dann die seltsame und wundervolle Entdeckung machen, daß wir das werden können, was wir im Innern sind.

In der heutigen Gesellschaft finden wir so manche gegensätzlichen Elemente im menschlichen Wesen: Jeder reagiert auf seine Umgebung anders als sein Nachbar. Wenn der Standpunkt eines andern nicht gewürdigt werden kann, mag es der Mangel unseres Verständnisses sein. Vielleicht ist Toleranz dann der Ausweg. Aber nie sollte die ehrliche Überzeugung eines Menschen bespöttelt werden. Ob "richtig" oder "falsch", solange jemand ehrlich seinen inneren Hunger nach Erkenntnis stillt, verdient er unsere Achtung. Das Leben verläuft in besserer Harmonie, wenn es keine Spannung wegen Meinungsverschiedenheiten mit anderen gibt, weder mit Einzelnen noch mit Gruppen. Wenn wir erkennen, daß sich alle Menschen auf ihre eigene Weise entwickeln, daß jeder von uns seine Fähigkeiten und seine Beschränkungen hat, dann werden alle Gefühle der Eifersucht oder Konkurrenz bedeutungslos. Weder die Gefühle der Minderwertigkeit noch der Überlegenheit sind in dieser Hinsicht ein Grund der Behinderung.

Es kann auch vorkommen, daß man zu starr an der eigenen Überzeugung festhält. Da jede Situation im Leben einmalig ist und eine neue Kombination von einzelnen Tatsachen mit sich bringt, ist eine einfältige und engherzige Philosophie sehr einengend. Die Treue eines Menschen zu seinem Glauben darf seine Bereitwilligkeit, neue Gedanken und Entdeckungen zu untersuchen, nicht aufhalten. Wenn wir aus alten wertvollen Eigenschaften und Vorstellungen herauswachsen, werden neue ihre Stelle einnehmen.

Es wird immer erstrebenswerte Ziele geben, bis Selbst-Entdeckung oder höchste Erleuchtung erreicht worden ist, ganz gleich, wie weit entfernt sie noch sein mögen. Wir können mithelfen, diese Zeit näher zu bringen, indem wir die Suche nach innen fortsetzen, nach dem, was in uns ist und was auch eins ist mit der Erhabenheit um uns. Indem wir lernen, uns selbst zu erkennen, wird es uns leichter, die die Sonne, die anderen Sterne, die Milchstraße, das Universum und all das, von dem wir ein Teil sind, zu erfassen.

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