Informationen über Theosophie in anderen Sprachen:     ENGLISH    ESPAÑOL    ITALIANO    NEDERLANDS    РУССКИЙ    SVENSKA  

Mit dem Strom schwimmen

Die Vitalität der Gegenwart und die Verheißung der Zukunft sollten uns daran hindern Sehnsucht nach der Vergangenheit zu bekommen. Die vergangenen guten Dinge und jene, die sich jetzt ereignen, können jedoch zu dem, was vor uns liegt, eine Brücke bilden und eine Grundlage sein, wenn wir auch überholte Dinge gegenwärtig abgelegt haben und sie mit anderen, den modernen Bedürfnissen angepaßten, ausgetauscht haben, so bleiben doch die wertvollen und guten Grundsätze bestehen.

Vor fünfzig Jahren betrachteten die Menschen das Pferd und den leichten Einspänner als taugliche Reisevehikel, aber wie töricht wäre es, von den Möglichkeiten des Automobils und des Flugzeuges keine Notiz zu nehmen und weiterhin an diesen veralteten Transportmitteln zu hängen! Noch unmöglicher wäre es, uns mit der Idee der Beförderung gar nicht zu befassen. Ähnlich unterscheiden sich die Methoden der Nachrichtenübermittlung, wenn Menschen und Zeiten sich ändern; aber der Austausch der Ideen bleibt. Die Schuleinrichtungen und technischen Lehrweisen verändern sich im Verlauf der Jahre sehr, aber soweit wir zurückgehen können sehen wir, daß der Mensch immer lernen wollte; und ich nehme an, daß der Drang zu wachsen, der jedem lebenden Wesen innewohnt, uns zwingen wird, unser Wissen auch weiterhin lange noch zu erweitern.

Durch Beobachtung erkennen wir, daß es die Gewohnheit der Natur ist, in regelmäßig wiederkehrenden Zyklen, wie Tag und Nacht, den Gezeiten von Ebbe und Flut, Winter und Sommer, Schlafen und Wachen, Leben und Tod zu arbeiten. Wir sehen auch, daß die ganze menschliche Geschichte hindurch jedes Zeitalter seine eigene Art kosmischer Energien mit sich brachte, die auf unser Leben einwirkten. Ihre Wirkung auf uns gibt uns die Gelegenheit, in allen Teilen unserer Natur eine bessere Entwicklung zu erreichen - physisch, emotional, mental und spirituell und außerdem eine tiefere Einsicht für den Globus, auf dem wir leben. Marc Aurels tiefsinnige Erklärung dafür, "Wer die Ordnung der Welt nicht versteht, erkennt nicht seinen Platz darin. Und wer nicht weiß, wofür er existiert, versteht weder sich selbst noch die Welt" deutet auf die innige und einflußreiche Beziehung zwischen dem Universum und dem Leben des einzelnen Menschen hin.

Wir als Einzelne sind die Materialien, aus denen unsere Zivilisation aufgebaut ist, und weil wir integrale Teile dieses lebendigen Universums sind, in dem wir unser Dasein haben, sind wir ein essentieller Teil des Werkes und der Errungenschaft unserer jeweiligen Ära. Wenn ein Architekt nur rohe Blöcke zur Verarbeitung hat, kann er wohl ein Haus planen, die Verwirklichung seiner Ideen ist jedoch notwendigerweise begrenzt. Stehen ihm aber fertiges Bauholz, Ziegelsteine, Zement und andere Hilfsmittel zur Verfügung, dann sind seine Ausdrucksmöglichkeiten weitaus größer. Die Feinheiten der Struktur in den verfügbaren Ausstattungen können den verschiedenen Notwendigkeiten angepaßt werden, und durch Kontraste lassen sich große Effekte erzielen. So ist es auch mit dem unendlich verschiedenen menschlichen Material.

Unsere gegenwärtige Zeit ist durch heftige Aktion und Reaktion sowohl im Menschen als auch in der ihn umgebenden Welt gekennzeichnet. Je kräftiger wir den Anstoß dieses Zyklus spüren, desto mehr werden wir zur Tätigkeit gezwungen. Die Seele ist einem schrecklichen Druck von der höheren und niederen Seite her ausgesetzt. Aber die Wahl und die Entscheidung zum handeln treffen wir - für das Gute oder Üble, das Persönliche oder Unpersönliche, für Aufbau oder Zerstörung, um im Dunklen zu verharren oder vorwärts zu schreiten in das Licht. Der Ansporn eines schnellen Tempos braucht uns nicht zu veranlassen gedankenlos hin und her zu rennen; statt dessen sollte er uns daran erinnern, von Zeit zu Zeit abzuschalten, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. W. Q. Judge schrieb: "Gehe nicht törichter- und übereifrigerweise darauf aus, nur immer etwas Besonderes tun zu wollen. Tue, was du zu tun findest."

Wir können das, was wir sind, bei jeder Gelegenheit in konstruktiver Weise für das Wohl der Allgemeinheit einsetzen. Das mag als eine schwierige Aufgabe erscheinen, aber wir können wenigstens versuchen, unseren Charakter zu vervollkommnen und auf unserer eigenen Stufe des Wachstums unser Verstehen für dieses Zeitalter zu erweitern. Doch während wir als essentielle Bausteine unserer Zivilisation an ihren vielfältigen Ausdrucksformen teilnehmen, müssen wir auch die beständig wechselnde Szenerie beobachten und unsere Augen für die Zeichen entlang des Weges offen halten. Die Tendenz nicht von den alten, ausgetretenen Wegen abzuweichen, ist in uns allen stark und es dauert manchmal Jahrhunderte, bis sie endgültig aufgegeben und neue Wege gegangen werden.

Unsere erweiterte wissenschaftliche Erkenntnis veranlaßt uns, nach einem grundlegenderen Verständnis der Beziehung des Menschen zum universalen Leben zu suchen. Denn obgleich wir beständig den Drang nach Getrenntsein, Sondersein und materiellen Dingen jeglicher Art verspüren, drängt uns das Feuer im Innern gleichzeitig zu Unpersönlichkeit, Mitleid und Weisheit. Das Leben läßt jedem einzelnen die Wahl, sich mit den aufbauenden Kräften des Lichtes oder den zerstörenden Kräften der Dunkelheit, mit dem Positiven oder Negativen zu verbinden, die beide in ihm selbst und in seiner Umgebung vorhanden sind. Wenn wir aber, nachdem wir unseren Standpunkt eingenommen haben, den widerstreitenden Elementen gegenüber Haß fühlen, erreichen wir unseren Zweck nicht, denn jeder unserer Gedanken wird unweigerlich zu uns zurückkehren, um unsere Umgebung im Guten und Bösen zu beeinflussen. Alles in allem können wir nur mithelfen eine bessere Welt aufzubauen, indem wir die höchste Ethik, die wir kennen, mit unserem Alltagsleben eng verknüpfen.

Die ersten Zeichen für die Erkenntnis des Menschen von seinem richtigen Platz im Universum können wir bereits wahrnehmen. Wir haben eine zweifache Aufgabe: Einerseits müssen wir den uns umgebenden Strömungen gegenüber immer wachsamer werden, bereit zur anschwellenden Strömung unser Teil beizutragen, indem wir unsere Charaktereigenschaften nutzbar machen - oder unsere Gelegenheiten versäumen. Andererseits besteht für uns die Notwendigkeit, uns nach innen zu wenden und das Zentrum des spirituellen Bewußtseins, das einen viel größeren Spielraum als unser gewöhnlicher persönlicher Gesichtspunkt hat, zu größerer Tätigkeit zu bringen. Dieses sich ausdehnende Bewußtsein ist der in den uferlosen Ozean der Weisheit fließende Strom, zu dem jeder Mensch, ihm selbst unbewußt, beisteuert.