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Dein Wille geschehe!

Auszüge aus einer Ansprache von Sir Edwin Arnold, einem britischen Dichter und Schriftsteller, die er am 10. Oktober 1893, - während seiner Präsidentschaft am Birmingham und Midland Institut - in der Town Hall von Birmingham, England, hielt. - Der Herausgeber

 

 

 

Wenn es Zeitalter gegeben hat, in denen unsere Rasse guten Grund hatte nicht viel zu erhoffen, weil man nicht viel wußte, scheint mir nun die Zeit gekommen zu sein, wo die üblich gewesene Verzweiflung sowohl töricht als auch unnötig wird. Es ist wahr, daß wir viel Furcht und Aberglauben aus der Vergangenheit geerbt haben; dogmatische Religionen und künstliche Sittenlehren haben viel dazu beigetragen, die natürliche Tugend herabzuwürdigen und die instinktive Fröhlichkeit zu hemmen. Unsere innere Vision ist immer noch so unvollkommen, und unser Verstandeswissen ist noch so begrenzt, daß ich nichts weiter über die Pessimisten sagen kann, als daß sie mir sehr einfältig erscheinen. Was jene edle Liebe zur Wahrheit und Ehrlichkeit betrifft, die im Grunde aufrichtiger Agnostizismus ist, so gibt es meiner Meinung nach nichts, was mehr zu schätzen ist. Wir dürfen einander nicht mit leeren Redensarten täuschen. Das unsterbliche Beispiel eines wahrheitsgetreuen und tapferen menschlichen Geistes ist Ajax, der von Zeus Licht verlangt, selbst auf die Gefahr hin, in diesem Lichte sterben zu müssen. Als Professor Tyndall im Jahre 1877 an der gleichen Stelle, wie ich heute, sprach, erwähnte er treffend: "Wenn die Gegebenheiten auf uns zukommen, so wollen wir es wagen, ihnen ins Gesicht zu sehen, und gleichermaßen mutig sein, Unkenntnis einzugestehen, wo sie vorherrscht."

Aber der Tag scheint gekommen zu sein, wo uns wirklich so vieles veranlaßt, über die Bestimmung der Menschheit gut nachzudenken. Welch heiterer Grund, sich über die bloße Tatsache des Daseins zu freuen, welch großes Versprechen einer sich fortwährend erweiternden menschlichen Erkenntnis und Einsicht, welch bessere Umgangsformen im allgemeinen, welche Entfaltung von Intelligenz und Vermehrung des allgemeinen Wohlbefindens, so daß es scheint, als gezieme es sich für den Menschen, der zumindest das Oberhaupt der Tiere ist, eher mit der Lerche am Himmel gemeinsam zu singen, anstatt mit dem Frosch im Sumpf zu quaken. Bei den Mohammedanern ist es der Brauch, ihr Morgengebet des Lobes - die Fatihah - aufzusagen, sobald das Licht es ihnen ermöglicht, ein schwarzes Gewand von einem weißen zu unterscheiden. Ich denke, auch wir sind im Laufe der Zeit weit genug durch die Nacht der Unwissenheit und Furcht geschritten, um in unserem Glauben das Schwarze der eigensinnigen Blindheit von dem Weißen der berechtigten frohen Hoffnung zu unterscheiden und die Wahrheit jener schönen Worte Mr. Frederick Myers zu erkennen: "Gott wird uns alles vergeben, ausgenommen unsere Verzweiflung."

Der Sonnenschein hat bei der Entwicklung der Schönheit der Blumen und der Gestalt der Blätter eine ebenso starke Wirkung wie die Strahlen des Gemüts und die Leichtigkeit des Herzens, wenn sie all das, was das Beste in Männern und Frauen ist, hervorbringen. Freude ist die wahre Wurzel der Sittlichkeit; keine Tugend ist des Lobes wert, die nicht aus zufriedenen und überzeugten Gemütern entspringt, frei von Furcht und Trübsinn. Keine Religion war jemals göttlich, die auf Schrecken anstatt auf Liebe beruhte; und keine Philosophie wird irgendwelche gute Frucht tragen, die Verzweiflung bringt und der Vernichtung folgt.

Deshalb haben die großen Dichter durch ihre eigenen wahren inneren Gefühle so viel mehr für die Menschheit geleistet, als die meisten ihrer Wohltäter. Sie haben Freude am Leben und bewahren inmitten tiefster Geheimnisse und schwierigster Rätsel eine göttliche Klarheit über dessen Ursprung und Zweck. In gewissen Kreisen sind jedoch Dichter als Autoritäten nicht sehr anerkannt; und zweifelsohne brauchen wir bessere Grundlagen als ihre melodischen Verse bieten können, wenn wir wirklich lebensfroh und heiter sein sollen und nicht beunruhigt durch den Tod.

Selbst unsere finstersten Pessimisten scheinen es nicht besonders eilig zu haben zu sterben. Und auch sie müssen zugeben, daß überall im menschlichen Leben, wohin man sehen kann, ein beinahe universeller Fortschritt im Hinblick der sozialen Verbesserung gemacht wird. Unter anderen haben zwei vernichtende Schläge die alten engstirnigen Theologien und Philosophien getroffen. Einer war die Entdeckung von Kopernikus, daß unser Globus, anstatt der Mittelpunkt aller Dinge und als das einzig Beachtenswerte des Himmels geschaffen zu sein, wobei Sonne, Mond und Sterne nur als Leuchten fungierten, er nur ein kleines dunkles Inselchen im himmlischen Archipel ist, ein beinahe unbedeutendes Stückchen in den Milchstraßen des mit Herrlichkeit angefüllten Raumes.

Eine zweite revolutionäre Veröffentlichung, die die der Vergangenheit angehörenden Ideen verändert hat, ist die Entdeckung der Reichweite der geologischen Zeit, die auf Darwins Ursprung der Arten folgte. Moderne Astronomie und Entwicklung haben die "dunkel-verwirrten Vorstellungen von einer traurigen Erlösung" und den Glauben an eine spezielle Welt-Schöpfung still beiseite gefegt. Zuerst erschien es einigen konservativen Gemütern, als wäre hiermit für die menschliche Hoffnung und das Selbstgefühl alles verloren, wenn wir tatsächlich so eng mit dem niederen Leben verwandt und so bescheiden in die Sternensysteme eingefügt wären. Aber diese ungeheuren Wahrheiten haben die Würde und den Wert des menschlichen Daseins unsagbar erhöht. Wenn die Erde jetzt weiß, daß sie wirklich nur ein Stück Treibholz im "blauen Pazifik der Unendlichkeit" ist, dann hat sie auch gelernt, daß sie durch die Anziehungskraft jeden Himmelskörper am Himmel beeinflußt und durch jeden Himmelskörper beeinflußt wird. ... Wir sehen, wie die Natur durch den einfachen Instinkt der Geselligkeit aus den Bienen und Ameisen, den Pinguinen und Seehunden so etwas wie Bürger macht - wobei die Anfangsgründe der Ethik durch die Lektionen des brutalen Daseinskampfes gelehrt werden. Und im Gehirn und Herzen des Menschen gelangt sie zu dem edelsten Ziel der Sittlichkeit, die in den Goldenen Regeln von Christus verkörpert ist.

bild_sunrise_51966_s176_1Gibt es hier nicht eine klare Darstellung der fundamentalen und weitentfernten Wohltat des kosmischen Prozesses, wenn wir nur zwei dumme Vorstellungen aus unseren Köpfen herausbekämen - die eine, daß das Weltall für uns allein gemacht wurde, und die andere, daß der Tod ein Ende und etwas Schreckliches bedeutet? Zwei Bedingungen sind zur vollständigen Auswertung unserer irdischen Durchreise notwendig - Furcht vor dem Tode und die Unwissenheit über die Zukunft.

Bildtext: Sir Edwin Arnold.

Die Natur täuscht ihre Kinder überall. Wenn sie einen Vogel geschult hat, sich von Schmetterlingen zu ernähren, lehrt sie den Schmetterling, wie ein dünnes Blatt eines Baumes auszusehen. Sobald sie dem Fischgeier sein scharfes Sehvermögen gegeben hat, verhilft sie seiner Nahrung - dem Fisch - dazu, die Farben der Kräuter und Flußkiesel anzunehmen, um ihm zu entfliehen. Sie hat den Menschen in die Schule geschickt mit dem Tod und dem Schmerz und dem Verlangen als seine gestrengen Lehrer. Aber möglicherweise denken wir nur, weil wir Kinder sind, unsere Unterweiser seien grausam. Im Inneren wissen wir es zweifellos besser, um davor Angst zu haben. Bezeichnend sind jene Augenblicke, in denen ein Mensch dem Besten und Erhabensten, das in ihm liegt, überlassen wird, wie er dann an diesen allgemeinen Unterweisungen nicht mehr festhält.

Von diesem Gesichtspunkt aus ist Asien - von dem Sie alle Ihre früheren religiösen Ideen abgeleitet haben und von dem Sie noch viel mehr lernen können - weit fortschrittlicher als der Westen. Die berühmte Erklärung von Paulus: "Die Dinge, welche zu sehen sind, sind zeitlich; aber die Dinge, welche nicht zu sehen sind, sind ewig" - hier von den Frommen ängstlich angenommen, aber von den Materialisten als bloße Phrase betrachtet - ist in Indien jedoch eine alltägliche Selbstverständlichkeit. Dort zweifelt niemand an der Fortdauer des Lebens, ebensowenig wie er daran zweifelt, daß die sinkende Sonne, der gleiche Himmelskörper, morgen wieder aufgehen wird. Ich habe eine Marathe-Frau, als sie ein Kind schalt, das Milch verschüttet hatte, ausrufen hören: "Du musst in deinem vorigen Leben ein sehr böses Mädchen gewesen sein!" ... Für das indische Gemüt ist nichts ohne Leben. Der Osten ist voll von geistigen und sozialen Resultaten dieser universellen Bejahung der Vorstellung, daß das Leben individuell unauslöschlich ist.

Die weisesten indischen Philosophen haben, im Gegensatz zu unseren - mit dem dummen Wort "übernatürlich" nie Schwierigkeiten gehabt. Die Upanishaden sagen: "Was im Sichtbaren ist, existiert auch im Unsichtbaren; und was in der Welt Brahmas ist, das ist auch hier." Das Endgültige ist, obwohl unerreichbar, so wirklich für das asiatische Gemüt wie der Reis; und in der Bhagavad-Gîtâ wird Arjuna tatsächlich erlaubt, die verkörperte Gottheit zu erblicken. In Wirklichkeit betrachtet Indien vielmehr dieses gegenwärtige Dasein als die Illusion, als Maya. Um die Sterne zu sehen, müssen wir auf die Nacht warten, und um leben zu können, müssen wir sterben. Es ist auch nicht uninteressant festzustellen, wie in den klassischen Hinduschriften diese große und unbekümmerte Gelassenheit der orientalischen Anschauung die Personifikation des Todes gemildert hat.

Da es nicht das Auge ist, das sieht, nicht das Ohr, das hört, sondern das Selbst hinter diesen Instrumenten, so glauben sie an dieses Selbst und an dessen unzweifelhaftes, unaufhörliches Bestehen. Als Meister der Metaphysik wischen sie mit einer entscheidenden Maxime das Rätsel des Seins beiseite: "Niemals kann der Gedanke den Denker kennen." Aus dem, was uns entmutigt und mit Sorge erfüllt, dem grenzenlosen Geheimnis des Universums, hat ihre abgeklärte Erhabenheit eine täglich wiederkehrende Freude bereitet, die im Einklang mit den begrenzten Kräften der sich ständig aufwärts entwickelnden Seele mit ihrem grenzenlosen Verlangen steht. Sie haben, ohne nach einer Erklärung zu suchen, die beiden höchsten göttlichen Gesetze, die den Kosmos regieren, erfaßt - Dharma, die Liebe und Karma, die Gerechtigkeit. Durch deren Licht haben sie teilweise erkannt, wie unter unwandelbarer und manchmal anscheinend mitleidloser Gerechtigkeit alle Dinge vom Guten zum Besseren hin fortschreiten, und vom Besseren zum noch Besseren, bis die Zeit für eine neue und höhere Ordnung gekommen sein wird. Deshalb ist "Ahinsa", das "Nicht Unrecht tun", ihr wichtigstes Gesetz, wie das der Christen im "Gebot der Nächstenliebe." Das gleiche steht im letzten Wort von Hafiz, in seinem persischen Vers:

Tue keinem Unrecht, und dann tue was du willst,

Meine Gesetze lassen keine andere Schuld gelten.

Sie erwarten den Tod nicht, wie es einige von uns tun, wie klagende Gefangene, die unter einem tyrannischen Richterspruch ohne Berufungsmöglichkeit stehen, die im Fleisch, der Zelle der zum Tode Verurteilten, mit finsterem Mut den letzten Tag verbringen; sondern eher wie die frohen Kinder einer Großen Mutter, deren Wille süß und gut ist, deren Wege weise sind, und die sie nun allmählich in den freundlichen, kurzen Schlaf des Todes einlullen muß, damit sie wieder erwachen können, bereit für ein glücklicheres Leben in dem neuen Sonnenschein eines anderen und größeren Tageslichts.

Wenn ihr den schlimmen Geschmack des Pessimismus von euren Lippen verbannen wollt, lest manchmal ein oder zwei Seiten aus Grashalme. Vor kurzem starb (1892) in Philadelphia der große und begabte, wenn auch etwas freimütige Dichter des Westens, mein lieber und verehrter Freund Walt Whitman, der irgendwie diese gewaltige asiatische Zufriedenheit gelernt hat, die durch die Annahme des kosmischen Prozesses und aus dem guten Willen all seinen lebenden Dingen gegenüber stammt. Er singt ganz fröhlich:

Ich weiß, daß ich unsterblich bin,

Ich weiß, dieser mein Kreislauf kann von eines Zimmermanns Zirkel nicht umspannt werden,

Ich weiß, daß ich nicht vergehen werde wie der Feuerkreis, den ein Kind mit einem Stück brennenden Holzes in die Nacht zeichnet.

- Gesang von mir selbst, 20

Jawohl! Lest manchmal ein wenig von jenem weitherzig gesonnenen und klarsichtigen Meister - durchdrungen vom gewaltigen neuen Leben Amerikas - der mit göttlich geöffneten Augen und inspiriertem Herzen sah, wie allezeit liebevoll die Lieblosigkeit des Kosmos ist und wie die Anfänge seines Werkes zu den weit entfernten Vollendungen, im Sichtbaren wie im Unsichtbaren hindeuten. Für ihn ist der Kosmos nicht unmoralisch:

Ich glaube, daß ein Grashalm nicht geringer ist als ein Tageslauf der Gestirne;

Und die Ameise ist ebenso vollkommen, ein Sandkorn und des Zaunkönigs Ei.

Und die Baumkröte ist ein Meisterstück vor dem Auge des Allerhöchsten;

Und die Brombeerranken könnten die Hallen des Himmels schmücken;

Und eine Maus ist Wunders genug, um Sextillionen von Ungläubigen wanken zu machen.

- Gesang von mir selbst, 31

In seiner großen Liebe zur Menschheit, seinem Sinn für Kameradschaft zu allem Lebenden, hoch oder niedrig, mag man erkennen, was der Buddhismus Asien lehrte und was Christus versuchte, der christlichen Welt zu lehren: daß das Geheimnis der Zufriedenheit, die Zauberworte, die uns in Harmonie mit dem kosmischen Prozeß bringen, Glaube an seinen Zweck, Arbeit zu seiner Unterstützung und ein beständiges Wohlwollen allen Geschöpfen gegenüber (Ahinsa, der Wunsch zu helfen, die Bereitschaft zur Liebe) sind.

Ich verlange nicht von euch noch bin ich dazu ermächtigt, von euch zu verlangen, ein anderes Leben zu führen. Für mich ist es gut genug, und süß genug und wundervoll genug gewesen. Und ich bin froh zu glauben, daß es dabei kein Ende und nirgendwo eine Grenze gibt für das, was wir lernen müssen. Es würde tatsächlich Tod bedeuten, wenn es irgendeine solche festgelegte Begrenzung gäbe. Und nie werden wir einer endgültigen Definition des unendlichen Daseins näher kommen. Wir brauchen es auch gar nicht zu wünschen, näher zu kommen, so wie es jener mystische Vers aus dem Sanskrit ausdrückt:

Er ist denen unbekannt, die denken, daß sie wissen,

Und bekannt denen, die wissen, daß sie Ihn nicht kennen.

Nachdem wir aber nun solche ständig zunehmende Ahnung von der Weisheit und Güte des kosmischen Prozesses besitzen, ist meine bescheidene Behauptung die, daß wir alle von nun an in das Leben eine ganz neue Begeisterung, einen gänzlich frischen Trost, eine viel bessere Kameradschaft und größeres Vertrauen einführen sollten. Wenn Epiktet, der lahme phrygische Sklave ausrufen konnte: "Führt mich, Zeus und Notwendigkeit! Wohin auch immer ihr bestimmt; ich will folgen", so müßten wir, denke ich, heute jene Worte wiederholen, die die Flügel der Seele falten und die Schläge des Herzens anhalten, wobei die Freiheit des Philosophen und die einfache Unkompliziertheit des Kindes eingeschlossen sind, und die sich dabei weder an irgendwelche speziellen Dogmen heften noch sich selbst von der Ewigen Liebe, die der letzte und größte und wahrste Name Gottes ist, absondern, jene Worte "Dein Wille geschehe!"