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Mein Geschenk

Herrn Holzmanns Laden war nicht viel mehr als eine Höhle für junge Tiere - ein Winkel für seine Werkzeuge, einige Regale für die fertigen Arbeiten und ein sehr kleiner Ladentisch, über den hinweg er die dem wirklichen Wert der Sachen nicht entsprechenden Bezahlungen entgegennahm. Er war Holzschnitzer, ein Künstler in seinem Fache und hätte berühmt sein können, wenn irgend jemand das Geschäft in die Hand genommen und die richtigen Beziehungen hergestellt hätte. Aber Herr Holzmann war mit den gegebenen Verhältnissen zufrieden: die Unkosten waren klein, er hatte eine kleine Pension und Holzschnitzen war sein Steckenpferd, seine große Liebe.

Die Regale waren geschmückt mit der köstlichsten Sammlung aus der Tierwelt, bei deren Herstellung nicht nur die Einzelheiten sorgfältig ausgearbeitet wurden, sondern die auch ein seltenes Wissen hinsichtlich der Gewohnheiten und charakteristischen Merkmale der Tiere zeigten. Da gab es Tiere, die er in seiner Jugend in der Heimat gekannt hatte und deren Vettern in der Neuen Welt, denn Herr Holzmann hatte Zoologische Gärten und Naturgeschichtliche Museen besucht und seine Hände arbeiteten in magischer Weise an dem, was ihnen ein scharfes Auge und ein gutes Gedächtnis vermittelten. Neugieriges und wie zur Flucht bereites Hochwild, das nur auf das Knacken eines Zweiges zu warten schien, Eichhörnchen, die mit einer Nuß in den Pfoten eben in diesem Augenblick zu nagen aufhörten. Gemsen auf den in Miniatur dargestellten Alpen, die aussahen, als ob sie soeben von Klippe zu Klippe springen wollten. Es gab auch Hoftiere - einzeln oder in Gruppen - eine Kuh mit ihrem Kalb; ein Pferd, von dem man erkannte, daß es gerade über das Feld gerannt war; Lämmer, die ihre Possen trieben. Alle diese Dinge erweckten das Begehren in den Kindern, die in den Laden kamen.

Jedes Stück war ein Kunstwerk, aber Herr Holzmann gab sie praktisch für ein Lächeln hin. Ich dachte, das sei eine Verschwendung und sagte das auch. Herr Holzmann schüttelte aber nur den Kopf und seufzte. "Ach, Fräulein Anna, Sie halten nichts davon, wenn man Freude spendet?"

"Aber doch", erwiderte ich. Er drängte mich in die Verteidigung und obgleich ich sicher war, daß ich recht hatte, wußte ich nicht, wie ich ihn überzeugen sollte.

"Bitte, Fräulein Anna, darf ich Sie etwas fragen? Haben Sie jemals etwas getan, weil Sie es mehr als irgend etwas anderes in der Welt zu tun wünschten; weil Sie nicht leben konnten, wenn Sie es nicht taten?"

Ich versuchte mir so etwas ins Gedächtnis zurück zu rufen, mich an irgend etwas zu erinnern, das für mich so viel bedeutet hatte. Da mir nichts einfiel, errötete ich. Herr Holzmann nahm sofort meine Verwirrung mit Bedauern wahr. "Das hat nichts zu sagen, ganz und gar nichts", betonte er. "Ich hätte die Frage nicht so stellen sollen."

"Nein, nein, Herr Holzmann, bitte tadeln Sie sich nicht selbst." Nun war ich es, die zu begütigen suchte, denn ich fühlte, daß ich ihn durch meinen Mangel an Verständnis verletzte. Ich fragte: "Gibt es da etwas zu erzählen? Sagen Sie, Herr Holzmann, wann lernten Sie das Tiere Schnitzen?"

"Sie werden es nicht glauben, Fräulein Anna, aber ich lernte erst in Amerika wirklich mit Holz zu arbeiten. Vorher hatte ich immer das Verlangen, den Wunsch, es zu tun, aber es bot sich nie die Gelegenheit dazu."

"Ich dachte, wo Sie aufgewachsen sind, schnitzt jedermann Holz", rief ich aus.

"Das stimmt, aber mein Vater hatte kein Geschick dazu. Seit Generationen war er der erste in unserer Familie, der kein Talent dazu hatte. Er hasste es und hatte daher andere Pläne für mich. Es half nichts, daß sich meine Hände danach sehnten, das Lindenholz zu schnitzen und Geschöpfe des Waldes und der Berge daraus entstehen zu lassen. Oft besuchte ich Leute, die schnitzten und sah ihnen aufmerksam zu, aber selten bot sich eine Gelegenheit zu arbeiten. Schließlich schickte mich mein Vater in die Stadt. Ich mußte studieren, um Anwalt zu werden.

Ach, Fräulein Anna, denken Sie, wie das gewesen wäre, wenn ich mich mein ganzes Leben lang um Vermächtnisse und Testamente hätte kümmern müssen und kleinliche Streitigkeiten schlichten und meine Nase den ganzen Tag in muffiges Papier stecken! Das konnte ich nicht. Ich lief davon und ging zur See.

Dann kamen die schweren Jahre, aber ich war frei; und ich gab mir das Versprechen - wenn ich genug Geld hätte, um Werkzeuge und das kostbare Lindenholz zu kaufen - alle die Dinge zu schnitzen, von denen ich als Kind geträumt hatte. Und ich wollte nur so viel Geld dafür nehmen wie ich zum Ankauf von neuem Holz benötigte. Ich habe mein Versprechen gehalten.

Die Kinder lieben die Tiere auch. Ich verkaufe nicht an jeden, der kaufen möchte. Wenn ich aber die Kinderhände sehe, wie sie gerne ein Reh oder ein Lamm streicheln möchten, wie wenn es lebendig wäre, dann weiß ich, daß mein Schatz ein freundliches Heim finden wird, und ich bin gerne bereit ihn, wie Sie sagen, um wenig mehr als ein Lächeln zu verkaufen."

Ich wandte mich ab, um die Tiere genau zu betrachten. Zwar hatte ich sie oder ihre Verwandtschaft schon unzählige Male gesehen, aber Herr Holzmann brauchte jetzt nicht zu sehen, daß mir die Augen feucht wurden. Ich liebte die zierlichen Geschöpfe schon immer und tatsächlich war das einer der Gründe, warum ich es so ungern sah, daß er sie um so wenig Geld hergab. Nachdem ich nun aber die Geschichte des alten Mannes kannte, war die Sache ganz anders. Während ich das fein gearbeitete Geweih eines Hirsches betrachtete, fragte ich: "Möchten die Kinder Ihre Kunst nicht erlernen?"

"Jawohl, jedes Jahr bitten einige darum, es sie zu lehren. Auch in diesem Falle sage ich nie nein, wenn ich einen gewissen Blick in ihren Augen sehe. Es mag sein, daß eine Nachfrage nach einer solchen Arbeit besteht, aber ich versuche nicht sie so heranzubilden, daß sie diese Kunst als Beruf ausüben können. Es genügt, daß sie, wenn sie alt sind, auch ein Steckenpferd haben."

"Kann das für jene auch soviel bedeuten wie für Sie?"

"Das ist nicht notwendig, Fräulein Anna. Die Kinder sind alle verschieden, aber alle lieben die Tiere. Sie schnitzen alle gerne und ich glaube, sie wissen alle, was es bedeutet zu geben."

Ich fragte: "Was es bedeutet zu geben?"

"Etwas von sich selbst zu geben", erwiderte Herr Holzmann einfach. "Die Kinder können von mir nichts lernen, wenn sie das nicht verstehen. Diese Kinder, sie halten nicht nur ihr Gemüt lebendig und ihre Finger beschäftigt. Ihre Herzen und ihre Seelen hungern nach irgend etwas.

Ich denke, es ist wie euer Dichter Lowell sagt:

'Wer sich in seinen Almosen selbst gibt, nährt drei - sich selbst, seinen hungernden Nachbarn und Mich.'

Ich will Ihnen noch etwas, was ich gelernt habe, sagen, Fräulein Anna. Jene, die etwas von sich selbst geben, finden das Leben schön und sie sind nie allein."