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Der rechte Meister

Um den Problemen unserer Zeit begegnen zu können, haben wir neue Regierungen gebildet, Reformen und neue Systeme eingeführt, neue Theorien aufgestellt und neue Gesetze erlassen. Wir haben größere Gefängnisse und Krankenhäuser gebaut, mehr Ärzte und Hüter der Gesetze herangebildet, haben zum Segen der Arbeit, für größeres Glück und größeren Wohlstand mechanische Erfindungen gemacht, wir gründeten Religionen, um jeden Geschmack zu befriedigen und setzten großzügig auf jedem erstrebenswerten Gebiet hervorragende Geister ein. Aber jene, die diese Dinge studieren, sagen, daß wir uns möglicherweise am Vorabend einer moralischen Erschütterung befinden, die die letzten Reste eines erträglichen Daseins aufheben könnte; so verhängnisvoll sind die Vorzeichen.

Es hat den Anschein, als wolle eine Krisis nur der andern Platz machen. Die herrischen Begierden aus den verschiedenen Teilen der Erde prallen aufeinander und kein ausgleichendes oder auch umstoßendes System ist in Sicht. Paradoxerweise sind jedoch die wahren Interessen der einzelnen Nationen im Grunde Harmonie, wie jene Einheit, aus der sie hervorgingen. Das Ziel ist für alle dasselbe. Die Methoden des Wachstums, der Entwicklung und des Glücks für alles, was das Leben groß und herrlich macht, liegen wie ein unberührtes Festmahl, für den einzelnen, wie für alle, die daran teilnehmen, bereit. Über dem betäubenden Getöse erklingt eine Note, die den augenblicklichen Lärm in eine Symphonie umgestalten könnte - die Note der göttlichen Bestimmung, die im Herzen eines jeden Menschen ertönt. Sie scheint fern zu sein; in Wirklichkeit ist sie nah. Wie wird das Ende sein? Werden die Völker, die seit Beginn der Geschichte ihre Differenzen vergeblich erörtert haben, plötzlich eine Lösung finden? Wird irgend jemand mit genügend moralischer Ruhe und Kraft auftreten, um die Nationen auf den Pfad des Friedens zu führen, oder müssen wir auf die Stunde der Vernichtung warten? Dies sind die Fragen, über die ernste Männer und Frauen heute nachdenken.

Wenn wir uns und andere freimütig betrachten, so können wir sehen, daß wir Studienobjekte in zweierlei Richtungen sind. Wir sind edel und zugleich tierisch. Unser niederer Teil ist hauptsächlich selbstsüchtig, er will sich nicht ändern, möchte einen begrenzten persönlichen Standpunkt einnehmen, erzeugt Unordnung und ruft schwer zu lösende Probleme hervor. Je mehr dieser niedere Aspekt mit Verstandeskräften ausgestattet ist, desto subtiler und tiefgründiger ist unsere Verwirrung und desto verwickelter wird die Lage - wenn nicht der Intellekt durch den läuternden Einfluß des höheren Gemütes erleuchtet ist. Offensichtlich hat diese Erleuchtung in der Welt gefehlt, denn sonst bestünde Harmonie. Weil das Universum eine Einheit ist, kann es sich in Wahrheit nicht selbst zerteilen, aber diesen grundsätzlichen Faktor hat unsere gegenwärtige Zivilisation außerachtgelassen. Und dieser unentwickelte, kurzsichtige, von Leidenschaft und Unwissenheit umwölkte Teil des Menschen ist nicht in der Lage zu unterscheiden, wo seine wahren Interessen liegen. In seiner Blindheit kann er nicht erkennen, daß er sich bei einem Kampf gegen die Ordnung, und wenn er die Notwendigkeit der Universalen Gerechtigkeit ignoriert, ins eigene Fleisch schneidet.

Damit ist nicht gesagt, daß Mangel an Güte in der Welt herrscht. Wir alle wissen, daß überall auf Erden Tausende und aber Tausende starke und edle Menschen verstreut sind, die nicht von ihrem niederen Teil beherrscht werden, Menschen, die allen Krisen heldenhaft begegnen. Sogar in Ländern, in denen die Zustände härteste Prüfungen an die menschliche Geduld gestellt haben - selbst dort, oder vielleicht gerade dort, haben sich die Menschen heftig gegen die Tyrannei und gegen jedes physische Übel gewandt. Handlungen von mutvoller Selbstvergessenheit in Armenvierteln, wo man es nicht erwartet hätte, erinnern uns beständig an die große Seele der Menschheit, an ihre essentielle Göttlichkeit und an ihre Möglichkeiten. Menschen wie diese sind die goldenen Fäden, die oft durch die schwefligen Dämpfe, in denen sie sich bewegen, getrübt sind, die jedoch die Welt vor moralischem Verfall bewahren.

Nichtsdestoweniger ruft die Welt nach einer gesunden, grundlegenden Philosophie, die einen festen Halt gewährt, sie verlangt nach Erkenntnis, die dem Gemüt das führende Licht der Intuition verleiht. Verständnis dafür, was die Menschen in Wirklichkeit sind, das Erkennen der Schönheit ihres wahren Selbstes, liegt in der göttlichen Natur jedes einzelnen verborgen, aber keiner kann ihrer teilhaftig werden, bevor er nicht aus seiner eigenen Schale auszubrechen beginnt. Unter der Vormundschaft einer spirituellen Zivilisation würden die Nationen ihren Frieden finden; die Feindschaft würde dahinschwinden; die ewig Streitenden würden sich Faden um Faden entwirren, um ein Muster zu weben, das sich jetzt kein Menschenverstand vorstellen könnte. Es würde unsere gleiche alte, jedoch völlig veränderte Welt sein - eine Welt, die begraben lag, weil die niedere Natur der Menschheit so sehr von menschlichen Angelegenheiten belastet war. Die spirituelle Seite des Lebens liegt in Reichweite, sie wartet nur auf die Welt, damit diese ihre Möglichkeiten erkennt und die Zügel dem rechten Meister, dem wahren Selbst der Menschheit, übergibt.