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Rezept für den Fortschritt

Mit dem Jahr 1961 begannen wir das erste Kapitel der 60er Jahre. Die turbulente Einleitung zu diesem Jahrzehnt, wie sie uns durch die Ereignisse des vergangenen Jahres geboten wurde, hat mit kräftigem Realismus das Vorwort zum künftigen Text geschrieben.

Wir sind Zeugen eines größeren Durchbruchs des menschlichen Geistes, in seiner Bemühung, dem universalen Impuls zu folgen, größere und freiere Betätigungsfelder zu schaffen. Dieser unwiderstehliche Drang liegt sowohl in der Brust jedes Menschen als auch in der Menschheit als Gesamtheit. Seine Manifestation sehen wir in der überraschend großen Vielzahl von Spannungen, die in allen Teilen der Welt spürbar sind. Er stellt uns die große Forderung, jene verbindenden Elemente wieder zu finden, die einen positiven Zusammenschluß der gesunden spirituellen Werte zustande bringen und, bei kluger Anwendung, Frieden und Harmonie aus dem Chaos schaffen werden.

Die Nahrung für den Fortschritt der Menschen heißt Erfahrung. Sie muß wie die Nahrung für unseren materiellen Körper eingenommen und verdaut werden, die kraftspendenden Komponenten müssen absorbiert und die Abfallstoffe ausgeschieden werden. Seit Milliarden von Jahren hat sich die menschliche Rasse, den meisten von uns unbewußt, von Erfahrungen jeder Art ernährt - spirituellen, mentalen, physischen - , von denen, unter dem koordinierenden und wohlwollenden Schutz einer kosmischen Intelligenz, das Gute assimiliert und die Abfallprodukte abgelegt wurden. Jede Störung dieses Prozesses erzeugt in unserem physischen Körper Krankheit und Leiden. Geschieht dies, dann tritt eine Anzahl Antikörper in Tätigkeit, die versucht, die erkrankten Zellen auszuschalten und das natürliche Gleichgewicht wieder herzustellen. Diese Antikörper haben ebenfalls ihre einzigartige Fähigkeit durch zeitalterlange evolutionäre Schulung erlangt, so daß sie ihre Aufgabe automatisch und in der rechten Weise ausführen, wann und wo sie benötigt werden.

Wenn wir unser Denken vom Physischen und Automatischen auf die höheren Ebenen des Bewußtseins richten, erkennen wir die gewaltigen Folgerungen des mentalen und bewußten Entschlusses des Menschen, sich durch die richtige Anwendung des individuellen freien Willens zu entwickeln. Wir begreifen, daß die volle Verantwortung für die Entscheidung, welche "Erfahrungsnahrung" zur Einnahme auszuwählen ist, damit nicht nur der status quo erhalten bleibt, sondern auch eine Zunahme an innerer Kraft und Gesundheit erfolgt, gleichmäßig auf die Schultern jedes Mannes und jeder Frau verteilt ist. Als intelligente und bewußte Einheiten in der Körperschaft der Menschheit, haben wir fortgesetzt die Wahl, unsere Kräfte mit den fortschrittlichen Werten der Natur zu verbinden oder, wenn wir dies vorziehen, mit den zerstörenden Elementen, die darauf hinarbeiten, die Wirkungen des echten evolutionären Impulses aufzuheben. Wir haben auch die höhere Alternative, uns darauf vorzubereiten, mit der Zeit ein wachsamer und aktiver Antikörper im Lebensstrom der menschlichen Angelegenheiten zu werden.

Man mag durchaus fragen: "Aber wie kann ich, einer unter Milliarden, bewußt der Sache des Fortschritts helfen, selbst wenn mein Verlangen stark ist? Wie kann ich im Rahmen meiner täglichen Pflichten etwas Wertvolles für den Aufbau des menschlichen Charakters beitragen?"

Wenn wir zu unserer Analogie zurückkehren, dann sehen wir, daß die vom Blutstrom ernährte einzelne Zelle in unserem Körper im Rahmen der Aufgaben ihres 'Tages' ihren vollen Anteil an Vitalität beisteuert, obwohl die verschiedensten Krankheitskeime auf sie einwirken. Gleicherweise müssen wir inmitten der Verflechtungen unseres Lebens versuchen, aus dem Strom, der täglichen Erfahrungen die aufbauenden Werte herauszudestillieren und diejenigen abzuweisen, die eine zerstörende Tendenz haben.

"Das erfordert aber eine größere moralische Widerstandskraft als ich sie besitze!"

Damit kann ich nicht übereinstimmen. Es trifft zu, keiner kann Vollkommenes leisten, aber wir alle können ohne Rücksicht auf Rassenzugehörigkeit oder Nationalität weit über unser selbstbegrenztes Begriffsvermögen hinaus handeln. Es ist ein ernüchternder Gedanke, daß Sie und ich als individuelle Einheiten in dieser großen Armee der Menschheit, jeder mit seinen bestimmten Pflichten, mit jedem Gedanken und Gefühl die gesamte Natur des Menschen beeinflussen können und dies auch tun (und damit die Zukunft der menschlichen Rasse). Wenn eine Zelle in unserem Körper schlecht arbeitet, fühlt es unser ganzer Körper; und wenn eine ganze Reihe von Zellen nicht dem Gesamtziel des Aufbaus nachkommt und statt dessen eigene begrenzte Ziele verfolgt, dann stehen wir am Beginn einer Bösartigkeit, die eine schwere Krankheit und möglicherweise den Tod bringen kann, wenn sie nicht bereinigt wird.

Was können wir also in der gegenwärtigen Weltkrise tun, wo wir täglich greifbar erleben, wie Einzelne und Gruppen nicht nur sich selbst unnötige Schwierigkeiten bereiten, sondern durch ihre blinden und selbstsüchtigen Handlungen der gesamten Menschheit Furcht und Unruhe bringen? Wir sind bewußtseinsmäßig und in Wirklichkeit eine Welt, und wir können uns nicht ausklammern, indem wir sagen, "das geht mich nichts an", und wie gewöhnlich unseren Geschäften nachgehen, wobei wir unsere Verpflichtungen genauso leicht vergessen wie die Schlagzeilen der Morgenzeitungen. Diese Haltung ist unwürdig, weil sie gegen den evolutionären Gang gerichtet ist. Andererseits können wir in das entgegengesetzte Extrem verfallen und durch die Aktionen dieser oder jener entfernten Gruppe von Leuten so durcheinandergebracht werden, daß wir nicht nur aufhören eine Hilfe zu sein, sondern durch unsere eigene Unaufmerksamkeit jenen schaden, die uns nahe stehen und für die wir eine direkte Verantwortung tragen.

Es gibt immer den "mittleren Weg" der Betrachtung, welcher das größere Panorama umschließt und der erkennen läßt, daß es im gesamten Kreislauf der kosmischen Vitalität kein Lebensteilchen gibt, das nicht irgendeinen positiven oder negativen Beitrag zum Wachstum und Fortschritt jedes anderen Lebensteilchens leistet; und daß es wegen dieses unaufhörlichen und allgemeinen Austausches der Energieimpulse die höchste Pflicht des Menschen ist, sich zu reorientieren - wieder zu lernen, daß das "innerste Zentrum" des eigenen Potentials eins ist mit den "innersten Zentren" seiner Mitmenschen. Sobald wir einmal begreifen, daß alle "anderen" in Wirklichkeit wir selbst sind, dann erfassen wir intuitiv deutlicher Kette und Schuß des Schicksals, die uns alle in diesem lebendigen Gewebe menschlicher Seelen miteinander verknüpfen. Wir erlangen dann jene tiefere Qualität des Verstehens und des Mitleids und wissen, daß die Natur den Menschen durch die Schmerzen des Wachstums zu entschlossenerer spiritueller Tätigkeit zwingt.

Es gibt einige, die das Durcheinander unserer Zeit einer moralischen Ermüdung zuschreiben, die über den anscheinenden Verlust der Rechtschaffenheit in den menschlichen Beziehungen klagen. Ich ziehe es vor, unseren gegenwärtigen Wirrwar von Bemühungen einem mangelnden Verständnis unserer wahren Ziele zuzuschreiben. Es ist meine feste Überzeugung, daß die heutige Zivilisation einen höheren Grad moralischer Kraft ausübt, als zu irgendeiner früheren Zeit. Womit könnte man sonst den beispiellosen und weitverbreiteten Entschluß der Völker in aller Welt erklären, eine Lösung für eine bessere Art des Lebens zu finden und, vor allem, nach einer Freiheit des Geistes zu streben, die nicht mit den Ketten einer überholten Psychologie der Konformität gefesselt ist. Es ist tatsächlich ein riesiger Schritt vorwärts, zu erkennen, daß die Wirkungen unseres Denkens und Fühlens nicht nur allein bei uns verbleiben, sondern daß sie durch das allgemeine Gesetz der Anziehung und Abstoßung all die anderen zwei oder mehr Milliarden Menschen in dieser großen Gemeinschaft der strebenden Menschheit beeinflussen müssen. Und während es einerseits aktive Gruppen gibt, die mit Überlegung danach trachten, den Kreislauf des menschlichen Gedankenstroms zu infizieren, dürfen wir nicht vergessen, daß auf der positiven Seite auch Antikörper an der Arbeit sind, die bereit und wachsam sind, einzugreifen, um als Aufräumer der Krankheit und Wiederhersteller der Harmonie zu wirken. Solange die lebenswichtigen Organe intakt bleiben und das Herz seinen zuverlässigen Schlag fortsetzt, solange wird das Leben in seiner Ganzheit weitergehen.

Je weiter zurück wir die Jahrtausende der uns bekannten Geschichte erforschen und den Versuch machen, das Auf und Ab des menschlichen Fortschritts in großen Zügen zu überblicken, desto mehr werden wir zu dem Schluß gedrängt, daß jede Woge, die den menschlichen Geist aus dem Strudel materieller Verwirrung emporgetragen hat, einen dynamischen Brennpunkt in einer Reihe von Individuen fand, die einen zentralen Strom der Inspiration berührt haben, der sie mit der Großen Intelligenz verband, deren immer schützender Einfluß alle erreicht, die ernsthaft eine stärkere Ausprägung der echten Bruderschaft der Menschheit anstreben. Innerhalb der Wechselbeziehungen dieser Verflechtungen liegt das begründet, was als die Geheimlehre über Kosmogenesis und Anthropogenesis bezeichnet wurde, oder als die Schlüssel für den Ursprung und die endgültige Bestimmung des Menschen, sowie seiner Verwandtschaft mit dem Kosmos und seinen Mitmenschen. Die Hauptvorstellung dieser archaischen Tradition, die seit den Tagen unserer rassischen Kindheit überliefert wird, ist, daß der Mensch potentiell nach dem Bilde der Göttlichen Intelligenz geschaffen ist, die ihn hervorbrachte. Andererseits haben wir in unserer extremen Unkenntnis des universalen Zusammenhangs der Dinge, ein nach einer persönlichen und begrenzten Auffassung ausgerichtetes Bild vom Menschen entworfen. Wir haben die erhabene Tatsache aus den Augen verloren, daß der in jeder menschlichen Brust lebende Funke der Gottheit, mit den grenzenlosen Möglichkeiten der kosmischen Göttlichen Intelligenz, von der wir sprechen, vergleichbar ist, weil er mit ihr eins ist.

Hierin ist das große Reservoir zu sehen, aus dem jede individuelle Zelle im Körper der Menschheit moralische und spirituelle Kraft schöpfen kann. Darin beruht der Schatz, auf den jeder von uns zurückgreifen kann, bei der Erfüllung unseres Wunsches, bei der Niederschrift der Geschichte dieses Jahrzehnts und der abschließenden Kapitel des zwanzigsten Jahrhunderts mitzuhelfen. Hierin liegt der Schlüssel für jene höhere Unterscheidungskraft, die wir zur Ausführung unserer vollständigen Pflicht allen Menschen gegenüber anwenden müssen--

In dem Maße, in dem wir an unserem jeweiligen Platze hier auf Erden, und sei es der verborgenste Winkel, uns unseres universalen Wertes und unserer Bedeutung dem Ganzen gegenüber bewußt werden, in dem Maße wird das innere Band zwischen uns und unserer Göttlichen Wurzel durch unsere Lebensweise positiv zum Ausdruck kommen. In diesem Maße werden wir zu stärkeren Elementen in der Seele der Menschheit werden - reinigende Antikörper in der Gesellschaft der Menschheit.