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Unser Versuchsgelände

Ist es Ordnungsliebe oder bloße Gewohnheit, die uns bewegt, alles in Begriffe einzuteilen - auch uns selbst. Wir sind nicht mit dem einfachen "Dasein" zufrieden, sondern müssen uns eine "Bezeichnung" geben; doch dann finden wir es manchmal schwierig, danach zu leben. In einer Diskussionsgruppe erklärte jemand einmal: "Ich bin ein Atheist." - "Gut", entgegnete ein anderer, "dann kannst Du ganz von vorne anfangen." In dem Gespräch wurden praktisch alle lohnenden Dinge seziert und auseinander genommen, mit den Verhältnissen in der Welt angefangen bis zu den Künsten, die gewöhnlich für die Menschen eine Quelle der Inspiration sind.

Nachdem alle Für und Wider erwogen worden waren, kam man zu dem Schluß, daß zwar viele modernen Werke der Musik und Literatur nicht besonders erhebend seien, uns aber zum Nachdenken anregen. Der sachliche Realismus der modernen Literatur, die zu beschreiben versucht, was Menschen in ihrer sinnlichen Leidenschaft tun, die rauhen Töne und heißen Rhythmen moderner Songs und die eigenartigen "Bilder" und "Skulpturen", die den Einfluß der Technik in unserem Leben deutlich machen, lassen uns fragen: "Ist das alles, was wir sein sollten? Ein Schrei in der Dunkelheit? Ein köstlicher Rausch für einen Augenblick?"

Wissenschaftliche Fortschritte verhelfen uns dazu das zu erschüttern, was wir als festen Boden unter unseren Füßen ansahen. Doch kaum eine andere Generation hat neben den Zweifeln, der Ablehnung alter Glaubensbekenntnisse und dem Entwurzeln alter Formen so viele interessante und von einander abweichende Meinungen über Dinge von entscheidender Bedeutung gehabt.

Wenn es keine Zukunft für den Menschen nach kurzem hektischen Aufenthalt auf diesem kleinen Planeten gäbe, würde er diese Möglichkeit nicht so lautstark ableugnen. Seine Gedanken wären vollständig im schnellen Tempo der täglichen Tretmühle eingefangen und würden keine Fragen stellen. Doch wer hat niemals gefragt "warum?" Über irgend etwas, über das Leben? Viele sterben, ohne eine befriedigende Antwort zu finden. Aber gerade die Tatsache, daß wir immer und immer wieder fähig sind zu fragen, in jedem Jahrhundert, beweist, daß es eine Antwort geben muß. Es ist jene nicht greifbare Realität, die uns anspornt, weiter zu forschen, zu diskutieren, ja vielleicht zu verwerfen, wenn wir durch die Entdeckung, daß uns vollständige Erleuchtung nicht sofort zuteil wird, enttäuscht sind. Irgend jemand hat es die göttliche Unrast genannt; die Sehnsucht des verlorenen Sohnes nach seiner ursprünglichen Heimat. Es könnte aber auch ebenso der mahnende Ruf jener Weisen sein, die vorangegangen sind: "Geht einen weiteren Schritt vorwärts. Wenn wir Erfolg hatten, könnt ihr es auch. Ihr habt alles, was wir haben. Gebraucht es!"

Glücklicherweise geben die Wesenheiten, die sich zu höheren Ebenen des Lebens und Wirkens hin entwickelt haben, uns niemals auf. Betrachten wir dieses vertraute Beispiel: Kaum etwas bewegt das Herz einer Mutter mehr, als wenn ihr geliebtes Kind vor ihr steht und mit zornigem Gesicht erklärt: "Du liebst mich nicht!", nur weil sie ihm wegen bestimmter Taten etwas verboten hat. Wenn das Kind gesagt hätte: "Du bist für mich nicht mehr meine Mutter!", - würde das die Mutterliebe töten? Beweist also, weil wir zur Zeit den Nebel nicht durchdringen können und daher Gott leugnen, daß es einen göttlichen Schutz nicht gibt? Wie rätselhaft ist es doch, daß wir es im großen und ganzen leichter finden, "nicht zu glauben" als zu "glauben". Aber können wir denn unseren Unglauben beweisen?

Die vergangenen Jahrhunderte der Menschheitsgeschichte zeigen, daß es etwas Gutes und Schönes hinter dem begrenzten menschlichen Selbst gibt, das ihn fortgesetzt und unaufhörlich magnetisch aufwärts und vorwärts zieht. Man denke an die Soldaten auf einem Schlachtfeld, wie sie schreiende Kinder aus Schlammlöchern befreien und ihre Tränen trocknen. - Auf allen Gebieten des Lebens wurden Fortschritte gemacht; die Liste ist zu lang, um sie aufzuzählen. Die Verhältnisse sind noch lange nicht ideal, und das Übel wütet auf der ganzen Welt. Aber es wird jetzt mehr denn je erkannt, dank vieler edelmütiger Männer und Frauen, die sich selbst aufopferten, um unsere Aufmerksamkeit auf solche Zustände zu lenken. Das ist ein bedeutender Schritt vorwärts.

Der nächste Schritt ist, zu lernen wie das Übel umgewandelt werden kann. Das ist unsere Aufgabe in den Jahrzehnten und Jahrhunderten vor uns. Ein Grund dafür, daß die allgemeine Lage schlimmer auszusehen scheint als früher, liegt in dem weltumspannenden Nachrichtensystem, das wir jetzt besitzen. Wir sind heute in der Lage, innerhalb weniger Stunden zu erfahren, was irgendwo auf der Erde passiert. Früher lebten wir in einem Paradies der Toren und sangen unschuldig in unserer sicheren Ecke: "Jeden Tag werden wir in jeder Weise besser und besser." Eine Zeitungskarikatur stellte es bildlich so dar: A beklagt sich wie schlimm die Zustände heute seien. "Wirklich", fragt B, "oder ist die Berichterstattung nur besser?"

Bis vor wenigen Jahren lebten wir in einer Atmosphäre des Getrenntseins. Jetzt, da wir unsere gegenseitige Abhängigkeit zu erkennen beginnen und merken, daß unsere eigene Wohlfahrt von der aller anderen abhängt und umgekehrt, werden an die Angleichung für ein harmonisches Leben höhere Anforderungen gestellt. Um darin erfolgreich zu sein, müssen wir viel Eigensüchtiges in unserer Natur aufgeben und statt dessen für das Wohl aller wirken. Diese mühevolle Wandlung tut manchmal weh, und wir sind geneigt zu klagen: "Die Zeiten sind schrecklich, das Ende der Zivilisation ist nahe!" Warum sind wir so kleingläubig? Unsere Vorfahren lebten unter Naturkatastrophen, Hungersnöten, in 30- und 100-jährigen Kriegen, unter Sklaverei und allerlei Verfolgungen. Jeder war mit dem Tode bedroht, der es wagte, bestehende Anschauungen in Frage zu stellen. Heute kann sich unser atheistischer Freund auf einen Turm stellen, laut alles verleugnen und dann ohne Gefahr, gelyncht zu werden, zum Fußballspiel gehen. Seine Stimme ist nur ein Ton im Ruf der Menschheit, etwas Höheres im Leben zu finden, solange er sich nicht mit diesem einen Ton zufrieden gibt, sondern für sich selbst forscht, was glaubwürdig und nicht glaubwürdig ist.

Das Leben selbst ist unser Übungsgelände, so sagen die Weisen aller Zeiten, wenn wir streng danach leben, was wir im Innersten aufrichtig glauben. Fügen wir anderen Kummer und Schmerzen zu, so werden wir durch die Reaktionen der Menschen, die wir verletzten und durch andere Zeichen merken, daß wir auf dem falschen Pfad sind. Sie fühlen sich nicht zu uns hingezogen. Sie mögen uns fürchten oder sogar meiden. Leben wir aber andererseits für das Wohl der anderen, ganz gleich, wie groß das Feld unserer Tätigkeit auch ist, so wird sich die Tür öffnen, und wir werden durch freundschaftliche Verbindung, Verständnis und Vertrauen viele Dinge wahrnehmen. Nehmen wir wirklich an, daß diese Eigenschaften verlöschen, wenn wir sterben? Ist es nicht wahrscheinlicher, daß Gefühle gegenseitigen Verstehens, Verzeihens und der Güte Bande sind, die uns mit etwas Höherem verbinden, als wir zu sein scheinen: Mit einer uns leitenden inneren Stimme, die uns mehr und mehr bewußt wird, wenn wir nur lauschen und unser Herz bereit ist.