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Es gibt nur eine Wahrheit

Moderne Forscher haben unzweifelhaft bewiesen, daß Religion, Wissenschaft und Zivilisation in vergangenen Zeiten an Hunderten von Orten und unter verschiedenen klimatischen Bedingungen gediehen und blühten. Doch trotz dieser augenscheinlich ganz unterschiedlichen Ursprünge ist die Vorstellung, die sich der Mensch von seiner Schöpfung zu machen versuchte, bei allen überraschend ähnlich. Und zwar so ähnlich, daß es tatsächlich unmöglich ist, den genauen Ursprung eines Glaubens oder auch die Herkunft eines Fundes genau zu verfolgen, denn kaum haben wir nach unserer Meinung die betreffende Person oder die hierfür infragekommende Zeit festgestellt, so finden wir, daß gleiche Begriffe auf einem anderen, vielleicht Tausende von Meilen entfernten Teil der Welt, ganz allgemein bekannt waren.

Als Erklärung dafür nimmt man gewöhnlich an, daß die Ideen von einer Generation auf die andere und von einer Rasse auf die andere übertragen wurden, so daß jede geschichtliche Periode aus dem Wissen Nutzen zog, das lange vergessene Zivilisationen hinterließen. Indien, China, Mesopotamien, Ägypten, Persien, Griechenland, Rom, alle gossen etwas von ihrer Eigenart in den Schmelztiegel der alten Welt, und in vielen Fällen können wir die Einflüsse rückwärts und vorwärts verfolgen. Die Eroberer und Gründer der Reiche haben viel dazu beigetragen, Ideen zu verbreiten - und auszurotten. Außerdem breiteten sich Wogen religiösen Einflusses aus und traten wieder zurück, manchmal mit Feuer und Schwert vorwärts drängend, wie der Mohammedanismus, und ein andermal auf sanftere Art, wie der Buddhismus. Bei diesen Kontakten begegneten sich viele Sprachen und vermischten sich bis zu einem gewissen Grade. Jede Sprache ist daher ein guter Index für die vielen Einflüsse, die vorhanden waren. Die Worte allein werfen Licht auf noch weiter zurückliegende Zeiten.

Wenn sich jedoch die Menschheit nur auf diese verschiedenen Formen der Übermittlung als einzige Quelle zur Aufrechterhaltung der Ideen stützen könnte, dann wären diese bald verloren gegangen oder hoffnungslos verstümmelt worden. Die Geschichte der Religionen zeigt zum Beispiel, daß bei der Formulierung eines Glaubensbekenntnisses oft aus sektiererischen oder anderen Gründen wichtige Wahrheiten übergangen, verwässert oder verfälscht wurden. Das Endresultat ist, daß die Prinzipien die die ursprüngliche Inspiration bildeten, nach Jahrhunderten unweigerlich gerade in den Organisationen begraben werden, die geschaffen wurden, um sie zu bewahren und zu überliefern. Aber diese Organisationen leisten trotz allem einen wertvollen Dienst, indem sie mitunter die angesammelte Weisheit früherer Zeiten weitergeben, obgleich alle menschlichen Institutionen schließlich doch der Auflösung anheim fallen. Die überlieferte Weisheit beginnt hauptsächlich deshalb ihre spirituelle Vitalität zu verlieren, weil der einzelne nicht mehr ermutigt wird, selbst zu forschen, oder nicht mehr angeregt wird, dem Reservoir grundlegender Ideen, die den Menschen immer anspornten aufwärts und vorwärts zu streben, etwas beizusteuern. Neue Ausdrucksmöglichkeiten für die Wahrheit sind ständig notwendig, und glücklicherweise war die Menschheit nie ohne jene, die imstande waren, sie zu zeigen.

Der Fortbestand dieser großen Ideen hängt nicht ungeteilt von den periodischen Enthüllungen spirituell Erleuchteter wie Jesus, Buddha oder Laotse ab. Die Wahrheit hat viele Gewänder, und die gleichen Prinzipien, die in den heiligen Geboten zum Ausdruck gebracht werden, können die Form philosophischer Grundsätze oder wissenschaftlicher Gesetze annehmen. Diese drei Facetten der Weisheit überschneiden sich tatsächlich weitgehendst und müssen alle zu einer umfassenden Betrachtung des Universums in seinen verschiedenen Aspekten herangezogen werden. So waren Philosophen wie Plato, Epiktet oder Schopenhauer und Wissenschaftler wie Archimedes, Kopernikus und Newton Offenbarer ihrer Interessengebiete, die ihre eigenen und nachfolgenden Generationen stark beeinflußten. Märtyrer wie Hypatia, Galilei und Bruno, kluge schöpferische Denker wie Emerson oder Carlyle, ein Heer von Dichtern wie Shakespeare, Goethe oder Whitman, Künstler, Musiker, Führende des menschlichen Denkens und der Bildung - alle äußerten ihre Anschauung über die Wirklichkeit, oft angesichts des traditionellen Wissens, das dogmatisch oder zu einer engherzigen Gewohnheit geworden war. Letzten Endes sind alle, die die Wahrheit suchen und beständig ihre Kräfte einsetzen, um ihr Verständnis zu erweitern, Offenbarer, wenn auch nur sich selbst gegenüber. Ihre Strahlen der Erkenntnis mögen vielleicht nicht leuchten, wie die der Sonne, aber ihr Licht scheint trotzdem in der Dunkelheit.

Wahrheit ist Wahrheit, ganz gleich ob durch die Linsen der Religion gesehen oder durch das Spektroskop der Wissenschaft. Was im Orient zum Beispiel Karma genannt wird, macht sich der Wissenschaftler in seinem Laboratorium als Ursache und Wirkung nutzbar. So ist es nichts Ungewöhnliches, wenn man entdeckt, daß die neuesten Funde der Wissenschaft schon von den religiösen Philosophen früherer Zeiten gemacht wurden. Ein glänzendes Beispiel dafür befindet sich auf der Leitartikelseite des New Yorker, Ausgabe vom 17. Juli. Es wird die Arbeit der Observatorien auf dem Mt. Wilson und dem Mt. Palomar hinsichtlich der Quasars beschrieben - jene "quasi-sternförmigen blauen Milchstraßen", von denen man annimmt, sie seien jüngere Versionen anderer Quasars, die beobachtet wurden. Die verschiedenen Quasars scheinen jetzt Stufen in der Evolution einer "normalen Galaxis", ähnlich unserer eigenen Milchstraße, darzustellen. Daraus schließen die Wissenschaftler, daß sich der Kosmos alle zweiundachtzig Milliarden Jahre "wie ein Herz" ausdehnt und zusammenzieht und dabei in einem Zyklus (oder einer Diastole) mit einer "riesigen Explosion" eine Reihe Universen ins Leben ruft und, wenn die Periode der Systole beginnt, andere zerstört. Kurz, die Wissenschaft behauptet, den Herzschlag des Universums entdeckt zu haben! In dem Leitartikel heißt es bezeichnenderweise: "Wir beglückwünschen die Wissenschaft, daß sie endlich beginnt, ihre wahre Rolle als Helfer zur Bestätigung alter Weisheit zu entdecken."

The New Yorker legt dar, daß die alten Hindus lange vor dem Christentum oder sogar noch vor Homer "eine Weltentstehung mit einer 'großen Explosion' kannten." Und diese archaischen Denker schlossen weit mehr darin ein, als eine bloße Beschreibung des physischen Gewandes des Kosmos, denn für sie war jeder Stern (und jedes Atom) die Manifestation eines göttlichen Impulses auf einer gewissen Stufe seiner evolutionären Entfaltung. Wenn daher ein Universum ins Leben gerufen wurde, sahen sie darin die Wiedergeburt einer Gottheit, welche Weltsysteme und deren Bewohner mitbrachte, die alle von unveränderlichen Gesetzen geleitet aus der Ruhe zur Tätigkeit auftauchten. Diese rhythmische Expression der Sterne wurde von ihnen zuweilen symbolisch der Große Atem jenes universalen Wesens (Brahman) genannt, welcher oder welches am Ende eines Zyklus alle Welten einatmet, nur um sie zu Beginn einer anderen Periode des geoffenbarten Daseins wieder hinauszusenden.

Die Los Angeles Times vom 10. Oktober berichtet im selben Zusammenhang, daß der bekannte englische Astronom Fred Hoyle seine ursprünglichen Ideen über ein "unveränderliches" Universum aufgegeben und den Begriff eines pulsierenden Universums angenommen hat. Von der Times wird berichtet:

Hoyle stellt sich jetzt ein Universum vor, das sich schließlich zu einem gewaltigen Klumpen dichter Materie zusammenzieht. Aber diese Materie ist nicht einförmig. Als Reste zerstörter Universen würden Wellenbewegungen und Wirbel übrig bleiben. Und wenn sich die neuen Milchstraßen bilden, werden sie sich wahrscheinlich rund um die Spuren der alten formieren.

"Eine Generation von Milchstraßen fungiert als Samen für die nächste Generation", schrieb er. Magnetische Felder bleiben ebenfalls von Zyklus zu Zyklus bestehen.

Professor Hoyles Worte könnten gut einer der alten Schriften entnommen sein. Aber sie sind es natürlich nicht. Es möchte fast scheinen als seien gewisse Ideen unzerstörbar und besäßen nicht nur eine innere Kraft, sondern benähmen sich wie lebende Wesen, die eine Art Gedankenatmosphäre bewohnen, die die Erde umgibt. Das könnte zur Erklärung beitragen, wieso manche Forscher, die auf eine bestimmte Schwingung oder Wellenlänge reagieren, zu verschiedenen Zeiten imstande waren, ohne irgendein greifbares kulturelles Erbe, das damit in Verbindung steht, die gleichen Gedanken und Erklärungen über das universale Leben, die Tausende von Jahren vorher die Welt bewegten, anzuziehen.

Alle wirklich wissenschaftlichen Gemüter bringen sich selbst mit soviel des gegenwärtigen Universums in Berührung, als es ihr Fachgebiet erlaubt. Aus den empfangenen Daten geben sie ein zusammenhängendes Bild, das, wie bei Professor Hoyle, augenscheinlich immer Raum läßt für neue Perspektiven, die sich entwickeln. Wenn der Kosmos eine gewisse Struktur besitzt und in einer bestimmten Weise arbeitet, so scheint die Annahme logisch zu sein, daß, je richtiger die angenommenen Ideen darüber sind, sie desto mehr mit den ebenfalls richtigen Ideen anderer Zeiten und Örtlichkeiten übereinstimmen werden. Die sogenannte wissenschaftliche Methode stützt sich somit stark auf die Intuition, denn Daten bleiben bedeutungslos und leblos, wenn sie nicht mit Erkenntnis verbunden sind.

Die Entdeckung führt direkt zur Quelle. Übertragenes Wissen ist Wissen aus zweiter Hand. Doch auch das letztere kann sich höchst wertvoll erweisen und zu neuen Entdeckungen inspirieren. Die heiligen Schriften der Welt, die Künste und Wissenschaften können uns alle der tieferen Wahrheiten bewußt werden lassen, denn sie teilen die Erkenntnisse der Vergangenheit mit uns. Nur wenn traditionelle Begriffe zu sehr in den Vordergrund treten, wird unser Verlangen zu suchen und zu erkennen als Magnet, der Erkenntnis anzieht, abgestumpft. Die Entdeckungen früherer Zeitalter waren wahrscheinlich niemals so leicht zugänglich wie jetzt, und möglicherweise war die Menschheit seit Tausenden von Jahren nicht so vorbereitet, sie richtig und mit Verständnis zu betrachten, anstatt sie in sklavischer Unterwerfung anzunehmen oder als abergläubische Einbildungen der frühen Menschheit zu verschmähen.

So wie es nur eine Wahrheit gibt, ob neu entdeckt oder übermittelt, so gibt es auch nur eine Menschheit und hat von Anfang an nur eine gegeben, denn wir sind auf allen Seiten von der mächtigen Natur umgeben. Wir sind ein Teil ihrer Gesetze und Prozesse, Leben von ihrem Leben, Fleisch von ihrem Fleisch. In dem Maße, in dem wir unsere Augen für ihre Wunder und ihre Schönheit öffnen, vertiefen wir unseren Einblick in ihre Mysterien. Je klarer und durchdringender das prüfende Bewußtsein, desto richtiger und tiefer die Enthüllung. So ist der wirkliche Grund, warum große Ideen von Zeitalter zu Zeitalter die gleichen sind, darin zu finden, daß sie alle in der gleichen Quelle wurzeln: in dem majestätischen Universum rund um uns, das unser Ursprung und unser Heim ist.