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Die Bedeutung der Osterzeit

Zu dieser Zeit wird neue Hoffnung die Welt beleben, wird neues Licht von neuen Offenbarungen für eine Rasse heraufdämmern, niedergedrückt so lange, vergessen so lange. - Robert Browning, Paracelsus

 

 

 

Jede Jahreszeit hat ihren besonderen Zauber, ihre Bedeutung. Das Knospen des Frühlings, die ganze Herrlichkeit des Sommers, die Ernte des Herbstes, die Ruhe des Winters: jede hat etwas, was die anderen nicht haben, einige Lektionen zur Lehre, einige Aufgaben zu erfüllen, einige Symbole zu enthüllen. Geburt, Kindheit und Jugend sind Frühling, starke Männlichkeit ist Sommer, reifes und machtvolles Alter ist Herbst und Tod ist Winter; jedes bildet eine Stufe auf dem Wege der unendlichen Reise des Lebens. Deshalb könnten wir ganz bestimmt - hätten wir nur Vertrauen zum Universalen Gesetz - mit Sicherheit wissen, daß der Tod nicht das Ende von allem ist, sondern daß es Wiederauferstehung, Wiedergeburt gibt; und daß auch sie mit dem Naturgesetz übereinstimmen.

Unaussprechlich schön ist der Gedanke an die Ruhe am Ende des Tages nach wohlerfüllter Pflicht, strahlend und herrlich ist der Engel des Todes nach einem recht geführten Leben; doch weder Schlaf noch Tod sind das Ende; sie sind jeweils nur ein Tor in andere Bereiche, wo wir uns eine Zeit aufhalten und dann zurückkehren. Wir kennen dies vom Schlaf her, mit seinen heiteren Träumen oder mit seiner tiefen Traumlosigkeit, aus der wir ohne Erinnerung erwachen, doch mit einem Gefühl vollkommener Ruhe. Wir fürchten den Schlaf nicht noch können uns üble Träume plagen, wenn der Tag wohl erfüllt wurde; gleichermaßen kann keine Todesfurcht den befallen, der sein Leben aufrichtig, edel und gut geführt hat. Warum sollten wir also nicht auch vom Tode, dem Zwillingsbruder des Schlafes, ebenfalls wieder zu einem neuen Tag erwachen? Gerade dieses Erwachen, diese Wiederauferstehung ist die Osterbotschaft.

Es wurde behauptet, die Wiederauferstehung Jesu sei das erstaunlichste Ereignis der gesamten Geschichte gewesen; wenn wir uns jedoch mit der Literatur und den Überlieferungen Indiens, Ägyptens, Griechenlands und anderer alter Völker befassen, dann sehen wir, daß es sich nicht um ein einmaliges Ereignis handelt, sondern um ein immer wiederkehrendes Geschehen - das dadurch weder an Inspiration noch an Bedeutung verliert. Es war die höchste Lehre, die allen Rassen zu allen Zeiten gegeben wurde - denn es gibt nicht ein Volk, das nicht seinen Heiland oder Messias, seinen Avatâra oder Buddha hatte, der ihm den wahren Weg des Lebens lehrte und zeigte. Reich an Zahl waren die 'Christusse' der vorchristlichen Zeiten, über die die gleichen Legenden und 'Wunder' berichtet werden. Indien besaß seinen Krishna und später seinen Gautama-Buddha; China den Fo-hi und Yu, Ägypten seinen Osiris und Horus; Persien hatte seine Weisung von Zarathustra; in Griechenland finden wir Apollo und den Dionysos der Mysterien; in den amerikanischen Ländern Quetzalcoatl. Noch andere könnten genannt werden, die 'göttlich' empfangen und 'jungfräulich' geboren wurden, in den Hades hinabstiegen, von den Toten auferstanden und zu den Unsterblichen aufstiegen.

Es ist ein Zeus, eine Sonne, eine Unterwelt, ein Dionysos, ein einsamer Gott in allen

heißt es in einem orphischen Gesang. So steht also auch hinter der verwirrenden Vielzahl von Gottheiten des ägyptischen Pantheons die Eine Absolute Gottheit mit "vielen Göttern", welche die Manifestationen oder Eigenschaften dieses Einen repräsentieren. Im Totenbuch oder "Ritual vom Heraustreten ins Tageslicht" können wir folgendes finden:

Einer meiner Augenblicke gehörte dir, meine Eigenschaften jedoch gehören meiner eigenen Domäne an.

Ich bin das unbekannte Eine.

Ich bin das Gestern und kenne das Morgen; denn ich werde wieder und wieder geboren. Das Mysterium der Seele bin ich.

"Kenner des Abgrundes" ist mein Name. Ich mache die Zyklen der leuchtenden Jahrmillionen; Milliarden sind mein Maß.

Ist es ein Wunder, daß mit solchen Gottesvorstellungen, die in keiner Epoche übertroffen wurden, besonderer Nachdruck auf die höchste aller Wahrheiten gelegt wurde: Die Göttlichkeit und Unsterblichkeit des Menschen und seine Wiederauferstehung? Denn die alten Ägypter faßten die Wiederauferstehung ihres Osiris nicht als ein 'einmaliges Ereignis' auf, sondern sahen darin vielmehr eine mögliche Erfahrung der Seele, die von allen gemacht werden konnte, die sich dafür qualifizierten. Wir lesen in dem Ritual von "einem leidenden und sterbenden Gott", wie sein Herz gegen die Feder der Wahrheit aufgewogen wird und er, wenn keine Unwahrheit gefunden wird, "mit Osiris eins" wird, ein "Sohn der Sonne."

Die im Christentum verbreitete Ansicht ist jedoch, daß Jesus der einzige eingeborene Sohn Gottes ist, der für die Sünden der Welt gelitten hat, gekreuzigt und begraben wurde und nach drei Tagen als Sieger über den Tod und Retter der Menschheit wieder auferstand; und daß seit dieser Zeit alle, die an ihn glauben und an dem Heiligen Sakrament des Abendmahls teilnehmen, durch seine Passion und seinen Tod eins mit ihm werden und an dem Glanz seiner Auferstehung teilhaben. Dies ist umso erstaunlicher, wenn wir uns vergegenwärtigen, daß fünfhundert Jahre vor dem Erscheinen des Nazareners der griechische Dramatiker Euripides den Ritus der Taufe und die Feier des Abendmahls als wesentliche Hauptbestandteile der orphischen Mysterien schilderte. Von Dionysos, dem mystischen Erlöser, sagt er:

Zu des Gottes höchstem Festmahl, wenn das Traubenblut schimmert, zum Himmel strahlt allem was lebt, Seinen Wein er bietet, gramfrei, unbefleckt.

Ja, da er Gott ist, wird sein Blut als Opfer vor die Götter gebracht, auf daß wir um seinetwillen gesegnet sein mögen.

Denn in uns, wahrlich, wohnt der Gott selbst, und verkündet das Kommende.

- Die Bacchen (Bacchae) (Nach der Übersetzung von Murray)

In der Tat, wie einige unserer etwas mehr aufgeschlossenen Geistlichen erkannt haben, stammt eine Reihe der heiligsten Riten und Zeremonien, die heute ausgeübt und von vielen als rein christlich angesehen werden, in ihrem Ursprung von den sogenannten Heiden her. Der Rev. Robert Taylor sagt uns darüber:

Die Eleusinischen Mysterien, oder das Sakrament des Abendmahls des Herrn, war die erhabenste aller von den Heiden gefeierten Zeremonien, genauer gesagt, der Athener, begangen in jedem fünften Jahr zu Ehren von Ceres, der Göttin des Korns, welche, in allegorischer Sprache, uns ihr Fleisch zu essen gab; so wie Bacchus, in gleichem Sinne, uns sein Blut zu trinken gab... Von diesen Zeremonien ist in gleicher Weise der wirkliche Name abgeleitet, der unserem christlichen Sakrament des Abendmahls des Herrn gegeben wurde - "jene heiligen Mysterien"; und nicht nur eine oder zwei der in unseren christlichen Feierlichkeiten geübten Bräuche leiten sich hieraus ab, sondern absolut alle und jeder einzelne. - Diegesis p. 212

Wenden wir uns dem hohen Norden zu - ich weiß nicht, wie alt die Geschichte Odins ist, wie sie in der skandinavischen Edda erzählt wird, vielleicht älter als die von Osiris. Aber auch er, obgleich Vater der Götter, Erschaffer der Menschen und die Personifizierung der Weisheit, war ein "leidender und ein sterbender Gott" und wurde durch seine Kreuzigung der Retter der Menschen. In seinem Runengesang sagt Odin:

Ich weiß, daß ich hing am windigen Baum neun ganze Nächte, vom Speere verwundet, dem Odin geweiht; ich selber mir selbst - an jenem Baum, von dem keiner weiß, welcher Wurzel er entspringt.

Wie wir daraus ersehen können, wurde in früheren Zeiten eine universalere Vorstellung über die Auferstehung gelehrt. Sie war das erhabene Ziel der Einweihung, die 'jungfräuliche' Geburt der Seele, die jeder selbst erlangen muß. "Es sei denn, daß einer von neuem geboren werde, so kann er das Reich Gottes nicht sehen." Um aber diese Wiedergeburt, diese Auferstehung zu erlangen, muß zuerst ein mystischer Tod, eine Überwindung oder Kreuzigung aller irdischen Leidenschaften und ein Abstieg in die Unterwelt stattfinden. Die eigene Seele muß - in uns selbst - allen Kräften der Finsternis begegnen und über sie siegen, und wie Dionysos, wie Christus, wie Odin, eins werden mit ihrem Gott.

In voller Wahrheit ist somit der Bericht, der von der Passion, dem Tod und der Wiederauferstehung des Lehrers aus Nazareth in den Evangelien berichtet, im wesentlichen der gleiche, wie er in früheren Zeiten von anderen Erlösern erzählt wurde: die gleichen Lehren, die gleichen Riten und Sakramente, die gleiche Kreuzigung des Selbstes, die gleiche Hoffnung auf Auferstehung, die heute im Christentum gefeiert werden. Diese Dinge bildeten das Herz der Weisheitslehren des Altertums. Lehren, die zu den höchsten Erbgütern zählen, die uns überliefert wurden, jeder Rasse und jedem Zeitalter von ihrem entsprechenden Göttlichen Heiland, der sein Leben dahingab, nicht nur für sein eigenes Volk, sondern für die ganze Menschheit.

Die Wiederkehr des Frühlings ist der Beweis der Natur, so wie die Auferstehung der göttliche Beweis ist, daß es für die Seele keinen Tod gibt. Die Saat fällt in die Erde und bald entspringt aus ihr eine Blume, ein Weizenhalm, ein Baum. Doch die äußere Hülle mußte zuerst sterben, ehe die Lebenskraft im Inneren zum Licht emporwachsen konnte. Der Weg der Natur ist eine stille, doch stete Folge von Tag und Nacht, Sommer und Winter, Geburt und Tod, bis schließlich, nach vielen Zyklen, alles, was die Erde zu lehren hat, gelernt sein wird. Aber der 'Tod' und die 'Wiedergeburt', wie sie in den alten Schulen gelehrt wurden, waren etwas mehr, als nur eine erneute Rückkehr ins Leben, mehr, als wir jedes Jahr erleben, so wundervoll und inspirierend dies auch ist. Die Methode und das Ziel der "Mysterien", von denen Jesus sprach, ist ein Beschleunigungsprozeß für jene, die den Mut besitzen, die Aufgabe zu meistern: Es ist die Überwindung des eigenen Selbstes, der Sieg über den 'Tod', die Auferstehung des Christos, der im Herzen des Menschen wohnt.

Dies also, meine ich, ist die Bedeutung der Osterzeit: Die Eins-werdung mit der Gottheit selbst. Für den Freimaurer ist dies die Erlangung des Königlichen Geheimnisses, das Mysterium des Gleichgewichts, das Geheimnis des Universalen Äquilibriums. Es ist das Erwachen jener Kraft in der Seele, durch die der Mensch zum Mitarbeiter der Gottheit wird, ja wirklich zum Mitarbeiter all der Großen der Vergangenheit, der Gegenwart und aller künftigen Zeiten. Von diesen spricht Walt Whitman in jenen unvergänglichen Zeilen mit der Überschrift: "An Ihn, der gekreuzigt ward" -

... die wir alle miteinander wirken und dasselbe Amt übermitteln und die gleiche Aufeinanderfolge,

Wir wenigen Gleichen, unparteiisch gegenüber Ländern, unparteiisch gegenüber Zeiten,

Wir, die wir alle Kontinente und alle Kasten umschließen und alle Theologien zulassen,

Wir Mitleidsvollen, Erkennenden, Verbinder der Menschen,

Wir schreiten schweigend durch Dispute und Behauptungen, aber verwerfen keinen Streitenden noch irgendeine Behauptung,

Wir hören Geschrei und Lärm, ...

Dennoch wandern wir ungehindert, frei über die ganze Erde, ziehen hin und her, bis wir der Zeit und den verschiedenen Epochen unsere untilgbare Spur eingeprägt haben,

Bis wir Zeiten und Zeitalter durchtränkt haben, daß die Männer und Frauen der Rassen in kommenden Jahrhunderten sich als Brüder und Liebende erweisen mögen gleich uns.

Heute sind wir Zeugen von Ereignissen, die in ihrer Bedeutung erschreckend sind. Sind sie der Abschluß eines Zeitalters und der Beginn eines anderen? Kann das neue emporkommen? Die Vergangenheit ist vergangen; sie ist unwiederbringlich. Die Gegenwart jedoch gehört uns, und aus ihr soll die Zukunft erwachsen. Worin besteht also die Pflicht und die Gelegenheit unserer Zeit? Erging nicht an uns der Ruf, eine Wiederauferstehung des Geistes der Bruderschaft zu verkünden, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hat? Dies ist, meine ich, die Botschaft dieser Osterzeit, die Aufforderung des Christos heute, darauf zu achten, daß unser Bekenntnis kein toter Buchstabe ist, sondern eine lebendige Kraft. Daß neue Hoffnungen die Welt beleben, daß neues Licht empordämmert, daß neue Entdeckungen gemacht werden, dessen bin ich gewiß.