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Die Tradition der Mysterien

Als die 'Fundamentalisten' 1833 von ihren Kanzeln über die Gottlosigkeit im Menschen wetterten und von den ewigen, reinigenden Feuern der Hölle sprachen, verärgerte Ralph Waldo Emerson, der leuchtende Stern jener kleinen Gruppe mutiger Denker, die als die Neu-England Transzendentalisten bekannt waren, die Strenggläubigen dadurch heftig, daß er jene lang vergessene Wahrheit des Christentums - die essentielle Göttlichkeit des Menschen - betonte. Die alte Schule, die von mittelalterlicher Theologie durchdrungene und nur zwei Jahrhunderte von der Hexenverbrennung entfernte Theologie, nahm die Einführung 'neuer' Ideen in die Religion übel auf. Aber Emerson war nicht leicht unterzukriegen, noch war er so leicht beiseite zu schieben, wie Roger Williams, der einfach wie seine Vorfahren kämpfte, die nach Amerika gekommen waren, um für sich selbst Gewissensfreiheit zu finden, sie aber anderen verweigerten. Emerson war nicht wie Williams, er weigerte sich zu weichen. Ketzer, wie Christus, Hypatia, Savonarola, Bruno, Voltaire, Paine und Emerson, die andere Ideen verbreiteten, die Gemüter der Menschen erregten und den großen Gott als Status Quo verleugneten, waren schon immer so. Lange Zeit hat beinahe jedermann geglaubt, daß der Mensch in Sünde geboren sei und ihn nur kriechende Furcht vor dem Höllenfeuer in die Erlösung stoßen könnte. Warum nicht die Sache auf sich beruhen lassen?

Emerson dachte anders und sagte deshalb:

Ich erkenne den Unterschied zwischen dem äußeren und dem inneren Selbst; das doppelte Bewußtsein, daß in diesem irrenden, leidenschaftlichen, sterblichen Selbst ein höchstes, ruhiges, unsterbliches Gemüt seinen Sitz hat, dessen Kräfte ich nicht kenne, das aber stärker ist als ich; es billigt nicht mein Unrechttun; in meinen Zweifeln suche ich Rat bei ihm; in meinen Gefahren wende ich mich ihm zu; bei meinen Unternehmungen bete ich zu ihm. Es erscheint mir als das Gesicht, das der Schöpfer seinem Kinde zeigt. Es ist die Wahrnehmung der Tiefe der menschlichen Natur, dieses Unendlichen, das jedem Menschen zugehört, der geboren wurde und das der Gewohnheit des Nachdenkens und der Einsamkeit einen neuen Wert verliehen hat.

In dieser von ihm so tief empfundenen Lehre liegt der Schlüssel, mit dem die von Christus geäußerten Worte über den Charakter Gottes allein gut und wahrhaft erklärt werden können: "Ich bin im Vater und der Vater ist in mir. ... Ich gehe zum Vater: denn mein Vater ist größer als ich."

Emersons durch einen sprühenden Geist erweiterten spirituellen Begriffe sind durch die heilige Literatur des alten Ostens geweckt und von ihr genährt worden, einer Literatur, die weit vertrautere und zugänglichere Begriffe hinsichtlich der Verwandtschaft zwischen Mensch und Gott enthüllten, als sie in den mittelalterlichen Verkündigungen der christlichen Theologie zu finden waren. Kein Klerus, der größte Autorität beanspruchte, schob sich in seinen Zeiten des "Nachdenkens und der Einsamkeit" zwischen ihn und die göttliche Gegenwart, noch gab es die Ablenkungen des zeremoniellen Rituals, um die "Stimme der Stille" zu ersticken. Es wird gesagt, daß er die Bhagavad-Gîtâ auf seinem Nachttisch liegen hatte, so hoch schätzte er die Botschaft, die sie seiner suchenden Seele brachte. Durch die darin enthaltene Zusicherung der Unzerstörbarkeit des "innewohnenden Geistes" fand er die Bestätigung der Worte Paulus' an die Korinther, daß jedes Menschenwesen in Wahrheit ein "Tempel Gottes" ist, in dem der Geist des Göttlichen wohnt.

Schon immer, seit wir um die Existenz des Menschen wissen, wurde der Mensch ermahnt, seinen Ursprung zu "erkennen". Gnothi Seauton! - Erkenne dich selbst! - war im alten Griechenland über dem Eingang des Tempels zu Delphi eingemeißelt. Die Göttlichkeit des Menschen ist die eine Wahrheit, die genauso, wie sie überall verkündet wurde, auch beständig ignoriert wurde. Um sie sind die Rituale und mystischen Allegorien aller Religionen gewoben worden, deren lebendiger Geist immer wieder durch die buchstäbliche Auslegung getötet wurde. "Der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig" sagte Paulus.

Um den Ursprung des Christentums oder irgendeiner Religion zu erkennen, müssen wir in Gedanken soweit als möglich an den Anfang der Existenz des Menschen auf diesem Globus zurückgehen. Die Überlieferung erzählt uns, daß in jenem jetzt vergessenen vorgeschichtlichen Zeitalter - nicht jene angenommene nur von dem 'fehlenden Glied' in der Kette und den Höhlenmenschen bevölkerte Periode - eine Gruppe gottgleicher Wesen lange bei der jungen Rasse blieb, um ihr auf ihrem Wege zu helfen. Der Zyklus führte jedoch nach abwärts und die ersten Menschen sanken tiefer und tiefer in die Materie, während das Wissen über ihre göttliche Abstammung langsam ihrem Gedächtnis entschwand. Mit dem Erwerb von "Röcken aus Fellen" - wie es allegorisch in der Legende vom Garten Eden und in noch älteren Versionen, von denen diese Legende entlehnt wurde, beschrieben ist - nahmen physische Begierden und Kräfte, die mit der Zeit den Verbindungskanal zwischen dem göttlichen Menschen und seiner irdischen und unvollkommenen Reflektion trübten, zu.

Wir sind wahrhaftig nach dem Bilde Gottes und ihm ähnlich geschaffen - das heißt in unserem unsterblichen Selbst. Aber so wie der verlorene Sohn haben wir uns beim Fall in die Materie weit vom Tisch des Vaters entfernt. Wir "gehen" nicht mehr länger "demütig" mit unseren göttlichen Helfern, wie wir es einst im Goldenen Zeitalter unserer Unschuld taten. Wie Gelbschnäbel, die aus dem Nest gestoßen wurden, wurden auch wir ausgestoßen und "auf uns selbst" gestellt. Durch die Kraft der Evolution wurden wir gezwungen, das "Brot" der Erkenntnis durch den "Schweiß" der Erfahrung aus erster Hand im Schulraum des Lebens zu verdienen. Mit dem freien Willen und der Fähigkeit für uns selbst zu denken ausgestattet, wurde von uns von nun an erwartet, daß wir lernen zwischen Gut und Böse zu unterscheiden und uns schließlich im Verlauf vieler Zeitalter zu der göttlichen Quelle, von der wir kamen, vorwärts und aufwärts durchzuarbeiten.

So hat sich die Göttliche Essenz im Menschen, indem sie die irdischen Gewänder anlegte, unbewußt am Kreuz des materiellen Daseins gekreuzigt, - ein Opfer, das Christus, Mithras, Osiris, Prometheus und alle den Mysterienschulen der verschiedenen Zeitalter bekannten großen Seelen freiwillig gebracht haben, indem sie ihren göttlichen Zustand 'kreuzigten', um sich unter dem Menschengeschlecht zu verkörpern. Aber hier haben wir das Paradoxon: Diese erhabenen Wesen hätten sich nicht opfern können, wenn sie nicht in vergangenen Äonen bereits alles, was in ihrer Natur materiell war, am 'Kreuze des Geistes gekreuzigt' hätten. Deshalb wurde das Symbol des Kreuzes in der einen oder anderen Form universell verehrt: Die senkrechte Linie stellt den Geist dar und die wagrechte deutet die Materie an. Wir selbst haben nun in unserer langen evolutionären Reise durch die Runden der irdischen Erfahrung den Punkt erreicht, wo auch wir, wenn wir wollen, selbstbewußt danach streben können, alles materielle in unserem Charakter am Kreuze spiritueller Anstrengung zu 'kreuzigen'.

Die ersten Christen entnahmen das Kreuz, wie alle ihre Symbole, älteren Quellen, vergaßen aber bald seine Bedeutung. Bei ihrer Vorliebe alles buchstäblich zu nehmen, wären sie besser gefahren, die ägyptische, als Tau bekannte Form des Kreuzes, beizubehalten. Hier haben wir den Umkreis, der sowohl die Sonne als auch das ewige Leben darstellt, der das Kreuz der Erde (oder Geist-Materie) beherrscht. Entsprechend den alten Papyri des "Totenbuches" empfingen jene Kandidaten, die erfolgreich durch die Prüfungen der Initiation in "der Halle des Osiris" gingen, den Sonnenritus und wurden von da an "Söhne der Sonne" genannt - eine Bezeichnung, die sowohl im alten Ägypten als auch in anderen Teilen Kleinasiens gebräuchlich war.

Die Traditionen und Legenden vieler Völker enthalten genügend Beweise dafür, daß es nicht nur eine allen gemeinsame uranfängliche Weisheitsreligion gab, sondern daß die Hüter der Menschheit selbst den Grundstock für Übungsschulen gelegt haben, in denen der schnell wachsenden Menschheit die grundlegenden Wahrheiten der Natur gelehrt werden konnten. Ihr Zweck war zweifach: die Gnosis oder das "Wissen" von der göttlichen Erbschaft des Menschen, die folgenden dunklen Zyklen hindurch zu bewahren und das tiefere Wissen über den Kosmos allen mitzuteilen, die imstande waren es zu verstehen und moralisch fest genug, um die notwendige Disziplin auf sich zu nehmen, um ihre spirituelle "Wiedergeburt" zu erlangen. Diese 'zweite' oder 'jungfräuliche' Geburt konnte in den archaischen Mysterien nur durch die selbstbewußte 'Vereinigung' der Seele mit ihrem inneren Gott stattfinden. So entstanden die verschiedenen Legenden von gottgleichen Menschen, die von Jungfrauen geboren wurden, von denen die christliche Erzählung nur eine allegorische Wiederholung älterer Erzählungen mit anderen Benennungen ist. Die christliche Wiedergabe erhielt eine Kulisse in Palästina, die gerade für jene Zeit und jene Menschen paßte.

Die Evangelien und die Worte Jesu, wie sie darin wiedergegeben werden, sind voll von esoterischen Hinweisen oder 'Blenden' und in den Mysterienschulen gebräuchlichen Ausdrücken jener Zeit. Seinen eigenen Erklärungen nach war Jesus ein Lehrer der Mysterien und muß deshalb ein "Sohn der Sonne" durch Geburt gewesen sein. Wie die geschichtlichen Tatsachen jedoch bestätigen, war es für spirituelle Dinge keine günstige Zeit, sondern der Anfang einer langen Nacht "spiritueller Unfruchtbarkeit", die bis zur Renaissance anhalten sollte und bis die Reformation die Dämmerung einer intellektuell glänzenderen und erleuchteteren Ära verkündete. Jeder Versuch, die Mysterien während eines nach abwärts führenden Zuges neu zu beleben, kommt dem Versuch gleich, ein neues Geschäftsunternehmen in den Tiefen einer "Depression" zu beginnen - alles steht dagegen und so war es auch im Falle von Jesus. Der Fehler lag nicht bei ihm, noch in der Glaubwürdigkeit dessen, was er zu bieten hatte, die Zeiten waren einfach nicht geeignet. Es war eine Periode des Rückschrittes und der Verwirrung, in der die Zivilisation 'auseinanderbrach'; und dasselbe Schicksal wäre jedem anderen wirklich spirituellen Impuls beschieden gewesen. Deshalb ist es notwendig die älteren Religionen und Ergebnisse der Philosophien früherer Völker zu erforschen, um zu erfahren, was überhaupt am Christentum ist - etwas, das von seiner Theologie kaum wahrgenommen werden kann.

Wahr daran ist, daß die Mysterienschulen bereits seit mehreren Jahrhunderten an Qualität und Macht eingebüßt hatten. Trotzdem hatte ihr spiritualisierender Einfluß Griechenland seine glänzende Kultur gegeben, die dann an manchen Orten und für verhältnismäßig kurze Zeit auf die römische Zivilisation übertragen wurde. Schließlich wurde im 6. Jahrhundert n. Chr. die letzte der Mysterienschulen auf Befehl des Kaisers Justinian geschlossen - ein willkommener Schritt, weil sie zu dieser Zeit aufgehört hatten einem guten Zweck zu dienen.

Ob die ursprüngliche Reinheit der Lehren Jesu das erste Jahrhundert überdauerte, sagt uns die Geschichte nicht. Kaum war er von der Szene verschwunden, begann unter seinen Anhängern Streit und Zank. Sie spalteten sich in sektiererische Glaubensschulen auf und verfolgten einander genau so, wie sie vom Staat verfolgt wurden. Sie wurden eine beständige Quelle der Unruhe für die Behörden, die zu jener Zeit gegen alle Religionen wirklich tolerant waren. Das römische Reich war als Kreuzweg der Welt zum Schmelztiegel der religiösen Philosophien Ägyptens, Indiens, Persiens, Griechenlands und aller zivilisierten Länder geworden. Nein, die Christen wurden nicht wegen ihrer religiösen Anschauungen verfolgt, sondern wegen ihrer politischen Bestrebungen. Besonders die Nachfolger Petrus' hingen, obwohl sie ihre alte Religion abgelegt und die neue angenommen hatten, immer noch an vielen ihrer alten Traditionen, die Idee vom Priesterstaat eingeschlossen - ein politisch weltlicher Zug, der in der christlichen Bewegung umhergeisterte, seit sie im 4. Jahrhundert unter Konstantin zur Macht kam und alles, was von der ursprünglichen esoterischen Kraft des Christentums übriggeblieben war, zum Verschwinden brachte.

Jesus kam in eine Ära des Wunderwirkens, der Totenbeschwörung und des Hausierens mit Wundern - den sogenannten "okkulten Künsten", die immer die abergläubischen und ungelehrten Massen angesprochen haben - und sammelte seine wenigen 'auserwählten' Jünger um sich. Eine Handvoll halbgebildeter Männer, die aber das beste Material bildeten, das er finden konnte. Ihnen teilte er soviel von den Mysterien des Königreiches mit, wie sie imstande waren zu verstehen, während er der Menge "in Gleichnissen" lehrte, weil "obgleich sie Ohren haben, hören sie nicht noch verstehen sie" - ein Beispiel, das alle großen Lehrer befolgten. Jene, die in die Welt gesandt werden, um neue und reinere spirituelle Impulse ins Leben zu rufen, wenn die alten entartet sind, so daß sie die Seelen des Menschen eher binden als befreien, wirken notwendigerweise unter Menschen der verschiedensten Grade und Arten der Aufnahmefähigkeit und lehren dementsprechend. Mit Ausnahme des Clemens und Origines von Alexandrien, die vergeblich versuchten, das neuplatonische Denken und die grundlegende christliche Philosophie bei der Formulierung der Kirchenlehre etwas zur Geltung kommen zu lassen, erklärten die ersten Kirchenväter die gnostischen Lehren für ketzerisch. Wie wir heute wissen, wurde die Kirche auf dem harten diamantenen Fels des Petrus und auf blinden Glauben begründet; aber bedeutsamerweise nicht eher als bis einige Jahrhunderte, nachdem der vermutliche Begründer von der geschichtlichen Bühne abgetreten war, vergangen waren.

Die mystische Lehre von der 'Auferstehung' der Göttlichkeit im Menschen war jedoch schon vorher zur Lehre vom stellvertretenden Sühneopfer und der 'Vergebung der Sünden' entartet, die die moralische Unverantwortlichkeit begünstigt und ermutigt, wobei der Mensch, in der Tat die ganze Menschheit - Millionen und Millionen von Menschen ungezählte Generationen hindurch - der Verantwortlichkeit für ihre eigenen Handlungen entrinnen können, indem sie ihre Sünden den Schultern eines einzelnen aufbürden!

Christus kam nicht, um den "Frieden" zu bringen, - Zufriedenheit mit uns und Befriedigung über uns selbst, so wie wir sind - sondern wegen des symbolischen Schwertes des Wachstums und Verstehens, damit wir uns durch die Ausübung des Vorrechtes unserer edleren Natur - jenes inneren Funkens der Göttlichkeit, der der einzige Gott ist, den wir erkennen können - regenerieren könnten. Dieses Bewußtsein des "jedem Menschen zugehörenden" Unendlichen ist es, was Emerson und jene Wenigen, die zum wahren Fortschritt der Rasse beitragen, indem sie den Gemütern der Menschen Erleuchtung bringen, zu allen Zeiten so innig empfunden haben.