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Über die Leibnizische Monadenlehre

Viele Menschen haben sich bisher gewundert, warum die Wissenschaftler den ganz kleinen und scheinbar unwichtigen Partikeln, aus denen diese Welt und die Sterne geschaffen sind, so viel Aufmerksamkeit widmen, doch die Ereignisse der letzten Jahre haben beinahe jedermann überzeugt, daß das Studium des Atoms für die Zukunft des Menschen entscheidend ist. Jeder Studierende, der die Natur liebt, verfolgt daher mit tiefem Interesse jedwede Erweiterung wahren Wissens über die Struktur der 'Materie', denn sie verspricht zu tieferer Weisheit zu führen und sogar flüchtig in bisher unbekannte Regionen des Lebens und des Bewußtseins blicken zu lassen, die, obgleich man sie vermutet, gewöhnlich doch nur in die Sphäre des religiösen Glaubens und der Hoffnung gelegt wurden, aber nicht in die nüchterne Wirklichkeit.

In dieser Hinsicht sind die Anschauungen des großen deutschen Philosophen und Mathematikers Leibniz (1646-1716) von tiefem Interesse. Leibniz teilt mit Newton die Ehre, das Prinzip und die Mechanik der Differenzialrechnung vervollkommnet zu haben, obwohl er völlig unabhängig dazu kam. Er wird jedoch vielleicht (außerhalb der mathematischen Kreise) mehr gewürdigt wegen seines mutigen Vordringens über die Sinnenwelt der Materie hinaus, auf seiner Suche nach einer außerphysischen Wirklichkeit, von der er intuitiv verspürte, daß sie dort verborgen ist. Seine Forschungen führten ihn zur Formulierung seiner berühmten Theorie über die Monade.

Leibniz hatte nichts als das sehr unvollkommene wissenschaftliche Material des 17. Jahrhunderts zur Verfügung, aber sein hervorragender Scharfsinn drang so tief hinter die oberflächlichen Erscheinungen, so daß die Wissenschaft erst in unserem Jahrhundert anfing, seine großartigen Intuitionen zu begreifen. Zwischen seinen Ideen und den Philosophien des Ostens besteht eine starke Ähnlichkeit. Zwei Hauptaspekte sind heute, im Hinblick auf die in jüngster Zeit erfolgten wissenschaftlichen Entdeckungen von besonderem Interesse: (1) die illusorische Art der physischen Materie und (2) die Tatsache, daß jedes Partikel, aus dem das Universum zusammengesetzt ist, eine lebendige, wachsende Wesenheit oder ein solches Gebilde ist. Er war ein wirklicher Anhänger der Evolutionslehre. Er stellte fest, daß die 'Materie' nicht tot ist, sondern die Gestalt oder die äußere und sichtbare Erscheinung einer (für uns) unsichtbaren außerphysischen Wirklichkeit, die aus metaphysischen, oder wie wir sagen möchten, spirituellen Punkten zusammengesetzt ist, die er Monaden nannte. Jede Monade ist ein bestimmtes Einzelwesen, das seine eigene Art oder seinen eigenen Grad von Bewußtsein und Leben besitzt. Leben ist überall, es steigt empor in Intelligenzgraden von der einfachsten Monade bis zu der unaussprechlichen Herrlichkeit der "Monade der Monaden", der unbegreiflichen Göttlichen Einheit oder dem Einen. Das Wort Monade ist von dem griechischen monas oder eines abgeleitet.

Leibniz war natürlich nicht der erste europäische Philosoph, der die granulierte Struktur der Materie annahm. Die griechischen Atomisten besitzen in einigen Richtungen ähnliche Begriffe, aber ihre Anschauungen erscheinen, verglichen mit dem feinen und hoch transzendentalen Inhalt der Theorie über die Monaden von Leibniz, die sich so geistreich davon unterscheidet, gänzlich materialistisch. Holbach, ein Verfechter des Materialismus, der oft Leibniz gegenübergestellt wird, folgerte, daß, seit der Mensch, "ein materielles Wesen", denkt, die Materie deshalb imstande ist zu denken! Leibniz dagegen hat die Materie vergeistigt statt die Seele zu materialisieren. Aber seine Monaden liegen nicht im Bereich normaler menschlicher Wahrnehmung und, logisch schlußfolgernd, daß die "reine Vernunft" oder das Denken größer ist als die Wahrnehmung mit den Sinnen, ging Leibniz so weit, zu erklären, daß die inneren Gedankenvorgänge tatsächlich ausgedehntere Universen (oder 'Ebenen') des Seins enthüllen können, als für die Sinne erreichbar sind. In dieselbe Folgerung schloß er die Zeit - Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft - ein.

Leibniz' philosophische Monaden sind dem modernen wissenschaftlichen Begriff über die 'elementaren Teilchen', die das sichtbare Universum zusammensetzen, so völlig ähnlich, daß es schwierig ist, einen wesentlichen Unterschied zwischen ihnen festzustellen. Weder die Monaden noch die Menge elementarer Partikel der modernen Forschung, wie Elektronen, Protonen, Neutronen, Photonen etc., die sich verbinden, um die 'Organismen' zu bilden, die wir Atome nennen, können mit unseren physischen Sinnen hinreichend beobachtet werden. Aber wir können ihre Existenz durch Experimente feststellen, die die Wirkungen zeigen, die sie erzeugen. Wir können sehen, was sie ausrichten können, aber das erklärt nicht, was sie an sich sind.

Was die 'Organisation' der elementaren Teilchen betrifft, die selbst mit der einfachsten Zusammensetzung beginnen und dann zum Atom, zum Molekül, einer Vereinigung von Atomen, fortschreiten und weiter zu komplizierteren Strukturen bis hinauf zu unserem Sonnensystem und sogar darüber hinaus, so ist jede Verbindung aus geringeren und 'einfacheren' Teilen gebildet, die sie zusammensetzen und wovon jedes dieser Teile seinerseits seinen nur ihm eigenen Platz und seine nur ihm zukommende Funktion hat. Aber auf alle Fälle kann auch das kleinste physische Partikel nicht länger mehr als das Letzte an Einfachheit betrachtet werden. Sie können ihrerseits sehr verwickelte Strukturen aufweisen, die die Tatsache betonen, daß das physische Atom etc. eine Illusion ist - nach Leibniz die vergängliche Erscheinung der dauernden Monade. Eine wichtige Phase dieses Gegenstandes ist, daß im Gleichgewicht gehaltene Organisationen - oder sollten wir vielleicht 'Organismen' sagen, schwerlich durch Zufall gebildet werden, sondern, um sich in einem Gleichgewicht erschaffen und erhalten zu können, müssen selbst die elementaren Partikel der Wissenschaft Eigenschaften besitzen, die von der Gesamtheit der Wesenszüge zu unterscheiden schwierig, wenn nicht unmöglich ist. Offensichtlich besteht da ein Plan, dem alle Teile zweckdienlich folgen - eine Idee, die der Wissenschaft bis jetzt nicht ganz willkommen ist, aber eine, die Leibniz natürlich gutheißen würde!

Die moderne philosophische Wissenschaft ist in der Richtung von Leibniz soweit vorgedrungen, daß es nicht schwierig sein dürfte, seine Theorie über die Monaden in ihrer Ganzheit zu übernehmen. Aber das würde bedeuten, daß die allgemein angenommene Einteilung in belebte und unbelebte Dinge umgestoßen würde, denn für ihn stand fest, daß das monadische Heer, das hinter der täuschenden Maske der Materie steht, gänzlich aus lebenden Wesenheiten zusammengesetzt ist, die gradweise unterschiedlich intelligent sind. Und dieses Prinzip universalen Lebens, ohne Einschränkungen oder Ausnahmen, führt direkt zu einer Art hierarchischen Aufbaus des Universums. Leibniz faßt seine umfassende Idee über die Evolution in diese Worte zusammen:

Alle die naturgemäßen Klassifizierungen der Welt zeigen eine einzige Verflechtung von Wesen, wo all die verschiedenen Klassen lebender Geschöpfe so vollkommen verflochten sind, wie viele Glieder, so daß es weder durch Imagination noch durch Beobachtung möglich ist festzustellen, wo irgendeine davon beginnt oder endet... Alles in der Natur schreitet stufenweise fort, und dieses Gesetz des Fortschrittes, das für jedes Einzelwesen gilt, bildet einen Teil meiner Theorie über die ununterbrochene Reihenfolge.

Zur Zeit von Leibniz folgten die Wissenschaftler den Grundsätzen Newtons, wie sie in seinen 'praktischen' Gesetzen der Bewegung, des Raumes und der Zeit, die keinen metaphysischen Inhalt haben, angegeben werden. Die Materie wurde in ihrem molaren Aspekt oder als Masse betrachtet. Sogar bis zu Daltons späteren Theorie vom unteilbaren, festen Atom fehlte fast noch ein Jahrhundert, und obgleich sie eine wichtige Stufe bildete, konnte sie im Lichte der physikalischen, chemischen und philosophischen Forschung des zwanzigsten Jahrhunderts nicht weiter bestehen.

bild_sunrise_11965_s31_1Wie Sir Richard Tute einmal bemerkte, verschaffen die wesentlichen metaphysischen Theorien über Naturerscheinungen, die durch neuerliche Entdeckungen unseren Wissenschaftlern tatsächlich aufgezwungen wurden, den Aufschluß oder den Hintergrund, den Leibniz benötigte und den er nicht liefern konnte. Seit Daltons Zeit ist das einzelne, harte, materielle Atom in so geheimnisvolle Partikel aufgespalten worden, daß die mit dem neuesten Wissen und den mächtigsten mathematischen Hilfsmitteln ausgestattete Wissenschaft, um auch nur ihre Existenz zu beweisen, gezwungen war, sich über die auf Erfahrung begründeten allgemeinen Begriffe über Materie, Zeit und Raum zu erheben! Sie mußte sich an seltsame Prinzipien wenden, wie die Existenz von höheren Dimensionen, Graden und Ebenen des Raumes jenseits oder innerhalb derjenigen, mit denen wir vertraut sind. Die Wesenheiten der sogenannten 'anderen Dimensionen' können nicht mit unseren Maßstäben gemessen noch können sie mit unseren Sinnen wahrgenommen werden. Wie Leibniz erkannte haben sie in dem uns vertrauten Raum keine 'Ausdehnung', keine greifbare Form oder Größe und doch sind sie paradoxerweise sehr wirklich.

Natürlicherweise hatte Leibniz mit dem zu seiner Zeit von Newton, Huygens, Halley u. a. angenommenen Gesetz von den mechanischen Kräften Schwierigkeiten. Aber obwohl er keinen abschließenden Beweis für seine Theorie von der transzendentalen Natur der Materie bringen konnte, war seine Einsicht nicht abzuleugnen, und er sah keinen Grund, seine großartige Hypothese zu ändern, sondern überließ ihre vollständige Rechtfertigung der Zukunft. Erst nachdem die moderne Relativitäts- und Quantentheorie aufgestellt war, wurde ein befriedigender Weg gefunden, die elementaren Partikel der Naturwissenschaft und folglich auch die Monaden von Leibniz vernunftgemäß zu erklären. Es wird jetzt vollkommen verstanden, daß solche Begriffe nicht nur seltsame und verwirrende, wenn auch sinnreiche mathematische Spekulationen sind, sondern tatsächlich Annäherungen an die Wahrheit darstellen, obwohl sie durch unsere Beschränkungen nicht in der gewöhnlichen Weise erklärt werden können. So könnte gesagt werden, daß die moderne Forschung ihre Studien auf Gleichungen gründet, die die Existenz einer überphysischen Wirklichkeit in sich einschließen.

Lange vor Leibniz diskutierten im Mittelalter die Gelehrten an den Universitäten mit Eifer solche, den Raum betreffenden Probleme. Wir alle kennen eine ihrer berühmten Fragen, "Wie viele Engel können auf einer Nadelspitze tanzen?" Das wurde oft mit Spott als ein Beispiel unnützer Zeitverschwendung angeführt, aber es war keineswegs absurd, denn es machte auf die nichtphysischen Ebenen des Raumes aufmerksam. Da Engel oder Geister ohne Körper oder wie Leibniz und die moderne Wissenschaft sagen würden immateriell und ohne Ausdehnung sind, ist auf einer Nadelspitze für das ganze himmlische Heer Raum in Fülle vorhanden!

Leibniz steht als intuitiver Philosoph auf gleicher Stufe mit seinem großen Zeitgenossen Spinoza, und wenn ihre Lehren weise vereinigt würden, wobei jede die andere in gewisser Richtung modifiziert, würde das Resultat eine ausgezeichnete Brücke zwischen Religion und Wissenschaft, zwischen der sogenannten physischen Materie und den hinter ihr liegenden Wirklichkeiten sein.